von Rabbiner Berel Wein
Eines der schwer fassbaren Ziele der Menschen ist es, »sicher« zu leben. Wir streben nach finanzieller Sicherheit, und natürlich wünschen wir uns körperliche Sicherheit. Jeder Politiker verspricht den Bürgern seines Landes physische Sicherheit. Dennoch empfinden die Menschen selbst in friedlichen und ruhigen Zeiten ein gewisses Unbehagen an ihrem Leben. Das rührt daher, dass wir uns unserer Sterblichkeit und der Unberechenbarkeit der Ereignisse und Umstände bewusst sind. Doch was immer die Ursache sein mag, dieses Unbehagen ist Teil unseres täglichen Lebens: ein Gefühl der Unsicherheit und der Besorgnis, vor allem in Hinblick auf Ereignisse, die sich unserer unmittelbaren Kontrolle entziehen.
Das großartige Fest von Sukkot setzt sich mit genau diesem Problem auseinander. Eine Hütte aus Leinwand oder aus Holz, mit einem Dach aus Zweigen oder Latten ist nicht gerade ein Symbol für Sicherheit. Ganz im Gegenteil scheint sie gerade die Fragilität unserer Existenz und die Launen von Zeit und Raum herauszustreichen.
In Israel ist an Sukkot fast immer gutes Wetter. Doch die in der Diaspora lebenden Juden sind in ihrer Laubhütte nicht sicher vor Regen, Hitze, Kälte und anderen Widrigkeiten, auf die sie keinen Einfluss haben. So kann man sich leicht vorstellen, wie sich Sukkot, das »Fest der Freude«, in einen Feiertag des Unbehagens und der Beklommenheit verwandelt. Und genau an diesem Punkt scheint die tiefere Bedeutung von Sukkot auf, die uns Trost spendet und uns zuversichtlich stimmt.
Die Laubhütten, in denen das jüdische Volk während seiner vierzigjährigen Reise in der Wüste Sinai lebte, galten als Zeichen des göttlichen Schutzes. Sie waren nicht die klapprigen Bauwerke, als die sie sich dem nackten Auge darboten. Sie waren »Wolken der Herrlichkeit«, die den jüdischen Charakter und den jüdischen Glauben stärkten. Gerade die Zerbrechlichkeit der Hütten bekräftigte die Vorstellung, dass der Mensch durch Vertrauen, Glauben, gute Werke und ein voll entwickeltes Gewissen Sicherheit im Leben finden kann.
Die großen Tempel von Jerusalem, gebaut von Salomon und Esra und Herodes, sind trotz ihrer architektonischen Mächtigkeit, ihrer ganzen Pracht und Herrlichkeit alle verschwunden. Doch die kleinen Laubhütten haben überlebt, und stets dienten sie dem Zweck, Juden mit ihrer glorreichen Vergangenheit und ihrem wunderbaren Schicksal zu verbinden.
Rabbinische Responsa aller Jahrhunderte befassten sich mit dem Bau der Sukka, und sie befassen sich noch immer damit. Von Südafrika bis Lettland, von Sibirien bis Hawaii haben Juden ihre behelfsmäßigen Wohnstätten errichtet, die die Dauerhaftigkeit ihres Glaubens bekräftigten und sie im Innersten stärkten. Dies allein kann in den Menschen das Gefühl von Sicherheit und Selbstwert wecken. In den Zeiten der Verfolgung haben unsere Feinde stets versucht, den Bau unserer Sukkot zu verhindern oder sie abzureißen. Die Laubhütte geriet in den Brennpunkt antijüdischen Treibens. Die Halacha ist nachsichtig und schränkt das Gebot, in der Sukka zu schlafen, wegen »der von Nichtjuden ausgehenden Gefahr« ein. Die Sukka wurde zum Symbol für die jüdische Hartnäckigkeit, ihre Klapprigkeit steht für den ehernen Willen und den Charakter der jüdischen Nation.
Ich erinnere mich an den Eindruck, den die Fotografien von Laubhütten israelischer Soldaten auf dem Sinai und den Golanhöhen während der furchtbaren Schlachten des Jom-Kippur-Krieges 1973 auf mich machten. Eine halachische Regelung zur Frage einer Laubhütte auf einem Panzer wird in der Mischna nicht erwähnt. Dennoch war die Sukka auf dem Panzer Teil des israelischen Rüstzeugs, das uns über diese schreckliche und gefährliche Zeit hinweghalf. Sie demonstrierte, dass wir nicht weggehen, sondern bleiben und bauen und unser kleines Land auf jede mögliche Weise erweitern würden.
Nur geborgene Menschen denken so, und nur geborgene Menschen können sich den Gefahren und Ungewissheiten des Lebens wirklich stellen. Es gibt in den Psalmen einen kraftvollen Vers, der die Häuser und Paläste der Menschen als ihre Gräber schildert. Ganz gleich, wie solide gebaut und kunstvoll das Haus auch gebaut ist, es ist für den Bewohner nicht von Dauer. Nur die behelfsmäßige Sukka, ausgesetzt allen wandelbaren Bedingungen der Zeit, des Wetters und der Gesellschaft, schenkt uns das Gefühl von Dauer und Stabilität. Die Rabbiner des Talmuds haben uns gelehrt, dass »ganz Israel noch in einer Laubhütte sitzen wird«. Diese Sukka wird die Sukka des Friedens und der Sicherheit, des Glaubens und des Glücks sein.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung von www.rabbiwein.com
2. Buch Moses 33,12 – 34,26 und
4. Buch Moses 29, 17-22