von Dirk Hempel
und Detlef David Kauschke
Am Jom Haschoa redet man eher nicht so viel. Generell nicht, und vor allem nicht über Konflikte in der jüdischen Gemeinde. Und dennoch beschäftigte am Montag, am Gedenktag für die Opfer der Schoa, die Berliner Mitglieder vor allem die Zukunft ihrer Gemeinde. Verschiedene Medien hatten am Wochenende gemeldet, der größten jüdischen Gemeinde Deutschlands stehe eine Spaltung bevor.
Demnach streben der frühere Vorsitzende Albert Meyer und der Historiker Julius H. Schoeps gemeinsam mit weiteren prominenten Berliner Juden die Gründung einer neuen Gemeinde an. »Es herrscht eine große Unzufriedenheit bei derzeitigen und ehemaligen Gemeindemitgliedern. Wir werden uns deshalb anders orientieren«, so Schoeps, Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums in Potsdam. Schoeps und Meyer sehen sich in der Tradition des deutschen liberalen Judentums. Insbesondere Meyer befürchtet, der derzeitige Vorstand wolle die Gemeinde zu einem »russischsprachigen Kulturverein« machen.
»Spaltung belastet Holocaust-Gedenken« sorgte sich die Berliner Morgenpost bereits im Vorfeld der Veranstaltung im Gemeindehaus an der Fasanenstraße und berichtete, der Vorsitzende Gideon Joffe habe »gelassen auf die drohende Spaltung der Gemeinde reagiert«. In einer Pressemitteilung zu den »Gerüchten über eine Neugründung« hatte Joffe klargestellt: »Ich bin ein Anhänger der Vielfalt unter dem Dach unserer Einheitsgemeinde, und deshalb bleibe ich bei ihr.«
Tatsächlich ist die angekündigte Neugründung ein Thema bei der Gedenkstunde zum Jom Haschoa und dem 64. Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Ghetto – ohne dass ganz offen darüber geredet wird. Aber die Verunsicherung ist zu spüren: War dies vielleicht die letzte Veranstaltung dieser Art in der Einheitsgemeinde? Angesichts dessen wird wichtig, wer im großen Festsaal der Gemeinde erschienen ist – und wer nicht.
Der frühere Gemeindevorsitzende An-
dreas Nachama zum Beispiel ist gekommen. Zuletzt erlaubte sein Zeitplan ihm nur selten, an Veranstaltungen der Ge-
meinde teilzunehmen. Ein Zeichen? »Das hat mit der aktuellen Diskussion gar nichts zu tun«, sagt Nachama der Jüdischen Allgemeinen. Er finde es aber »richtig, den Jom Haschoa mit einer szenischen Lesung zu begehen« und sei deshalb gekommen. Schoeps dagegen lässt sich an diesem Abend nicht blicken: »Ich war ja nicht eingeladen«, sagt er.
So verpasst er Joffes Plädoyer für die Einheitsgemeinde, auch bei Meinungsverschiedenheiten: »Es ist sogar eine talmudische Tradition zu diskutieren und zu widersprechen. Wie interessant und bereich-
chernd können Kontroverse und heftige Diskussion sein.« Der Ghetto-Aufstand in Warschau sei der erfolgreichste gewesen, »weil trotz aller interner Diskussionen die Gruppe nach außen geschlossen und als eine Einheit auftrat«.
Ein Bekenntnis, das in Teilen der Gemeinde ganz gut ankommt. Doch die allgemeine Ratlosigkeit schwindet damit noch nicht. Man spricht über die Zeitungsberichte der vergangenen Tage, manche kritisieren, dass die Meldungen am Schabbat unmittelbar vor dem Jom Haschoa erschiene. Und jetzt gehe es nicht ums Gedenken, sondern um die Spaltungsgerüchte. Selbst einige, die der Kritik von Meyer und Schoeps im Kern durchaus zustimmen, halten eine Konkurrenz-Gemeinde für wenig sinnvoll. Es gebe doch auch Möglichkeiten, sich als Fraktion unter dem Dach der Gemeinde zu organisieren. Es seien noch längst nicht alle Möglichkeiten ausgelotet. Am Jom Haschoa wollen sich aber die meisten kaum über die internen Diskussionen der Gemeinde äußern. Auch Ruth Galinski, Witwe des ehemaligen Gemeindevorsitzenden Heinz Galinski sel. A., fasst sich kurz: »Das ist alles sehr traurig.« Die Berliner Bürgermeisterin Ingeborg Junge-Reyer (SPD), die in ihrer Rede noch betont hat, »Berlin ist stolz darauf, dass wieder jüdisches Leben in diese Stadt zurückgekehrt ist«, hofft jedenfalls die jüdische Gemeinde möge »einen Weg finden, zusammen und gemeinsam aufzutreten.« Für Schoeps hingegen scheint das nicht mehr zu gehen. Er ist im vergangenen Jahr aus der Gemeinde ausgetreten. Andere seien seinem Beispiel gefolgt. »Es ist eine Abstimmung mit den Füßen«, glaubt er.