von Charlotte Knobloch
Wer aus Anlass des Neujahrsfestes zurückblickt, wird sich erinnern, dass das vergangene Jahr unter dem Eindruck der »Idee Europa« stand. Mit dem Rahmenbeschluss gegen Rassismus und Fremdenhass ist es den europäischen Justizministern gelungen, menschenverachtende Hetze auf dem ganzen Kontinent unter Strafe zu stellen. Dennoch: Europa als Garant für ein friedliches Zusammenleben der Menschen? Noch nicht. Denn die deutsche EU-Ratspräsidentschaft wurde auch von hässlichen Vorfällen überschattet: Im Europaparlament – Symbol für Völkerverständi- gung und Überwindung des Nationalismus – bildete sich erstmals eine länderübergreifende rechtsextremistische Fraktion. Der polnische Rechtsnationalist Ma- ciej Giertych hat sich an dieser grotesken Fraktionsbildung zwar nicht beteiligt, kocht aber sein eigenes braunes Süppchen: Mit einer antisemitischen Propagandaschrift agitierte er im EU-Parlament gegen die jüdische Gemeinschaft und zeigte damit einmal mehr, wie leicht demokratische Institutionen ausgehöhlt und zweckentfremdet werden können.
Bis nach Teheran reicht die Geltung des neuen Rahmenbeschlusses der EU leider nicht. Dort inszenierte der iranische Despot Mahmud Ahmadinedschad ungehindert eine pseudowissenschaftliche Versammlung, auf der Holocaust-Leugner und Islamisten ihre aggressiven Thesen öffentlich vertraten. Für uns war dieses Ereignis schmerzhaft und beängstigend. Die internationale Gemeinschaft ist jetzt in der Pflicht, Verantwortung für Freiheit und Menschenwürde nicht länger gegen Wirtschaftsinteressen einzutauschen.
Ökonomische Interessen hegt auch die NPD. Immerhin über eine Million Euro hat sie im vergangenen Jahr aus der staatlichen Parteienfinanzierung kassiert. Und das, obwohl an anderer Stelle das Geld für effektive Projekte gegen Rechtsextremismus knapp sind. Und die NPD weiß ihre Mittel manipulativ zu nutzen: Mit Jugendclubs und Hausaufgabenhilfe tarnen sich die Brandstifter als Biedermänner. Ist es nicht endlich an der Zeit, dem schlecht kaschierten Antisemitismus dieser Partei ein Ende zu machen? Wir sollten in den Erhalt von Gedenkstätten – in Frieden – investieren, anstatt tatenlos zuzusehen, wie die NPD mit staatlichem Geld salonfähig wird. Bislang haben die Recherchen des Verfassungsschutzes ein Verbot der NPD unmöglich gemacht. Doch brauchen wir verdeckte Ermittler, um nachzuweisen, dass diese Partei verfassungsfeindlich ist? Sicher nicht. Der Vorfall im sächsischen Mügeln und der brutale Angriff auf einen Rabbiner in Frankfurt hat die Dringlichkeit eines Maßnahmenkatalogs gegen Fremdenfeindlichkeit auf tragische Weise deutlich gemacht.
Kontraproduktiv im Kampf gegen Rassismus ist ohne Zweifel die Wiedereinführung der Tridentinischen Messe in den katholischen Ritus. Es ist der Geist des kirch- lichen Antijudaismus, der diese Messe durchweht – der Versuch, das jüdische Erbe des Christentums abzuspalten. Ein Europa aber, das seine Identität aus der Pluralität seiner Bürger schöpfen will, darf den Beitrag des Judentums zu den geistigen Errungenschaften unseres Kontinents nicht gering schätzen. Wird dieser Gedanke berück- sichtigt, kann die jüdische Gemeinschaft auch in Deutschland weiter gedeihen.
Aber sie wächst ja schon. Das jüdische Leben erwacht. Würzburg, München und Gelsenkirchen haben im vergangenen Jahr neue Gemeindezentren errichtet und bieten ihren Zuwanderern aus der GUS eine neue Heimat. Niemand wird ernsthaft behaupten, dass dieser Prozess reibungslos verlaufen kann. Respekt vor den Lebensgeschichten der Neumitglieder ist dazu ebenso erforderlich wie deren Bereitschaft, sich auf das Selbstverständnis der Alteingesessenen einzulassen. Wenn uns das gelingt, wird die Gesellschaft, auch über den Tellerrand unserer Gemeinden hinaus, vom Potenzial und den interkulturellen Kompetenzen der Neuzuwanderer profitieren.
Lassen Sie uns also zuversichtlich ins neue Jahr schreiten und dabei auch an unsere Familien und Freunde in Israel denken. Denn das Heer der Feinde, die einen unkalkulierbaren Guerillakrieg gegen das kleine Land im Nahen Osten führen, ist größer geworden. Israel braucht unsere Solidarität deshalb auch im kommenden Jahr. Uns allen wünsche ich Schana Towa, ein gutes 5768! Möge es ein Jahr des Friedens werden für Eretz Israel, und mögen unsere Wünsche sowie Hoffnungen in Erfüllung gehen. In Israel und in Europa.
Die Autorin ist Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland.