von Michael Wolffsohn
Zwischen Israel und der Diaspora kracht es gewaltig. Vordergründig wird über die Friedenspolitik gestritten, vor allem über die Jerusalemfrage. Aber es geht auch um Macht und Mitsprache.
Zwei Diaspora-Präsidenten wetzen das politische Messer gegen Israels Premier. Ronald Lauder, Präsident des Jüdischen Weltkongresses, und Moshe Kantor, Chef des Europäisch-Jüdischen Kongresses, kritisieren Ehud Olmerts Bereitschaft, mit den Palästinensern über einen neuen Jerusalem-Status zu verhandeln. Ihr Argument: Hier gehe es um gesamtjüdische Lebens- und Religionsinteressen. Israel könne daher nicht alleine den Kurs bestimmen, schon gar nicht gegen die Diaspora. Diese fördere Israel zudem finanziell so stark, dass die Juden Israels die Interessen der Diaspora-Juden gerade in dieser jüdischen Seinsfrage mitberücksichtigen müssten.
Neu ist nichts an diesem Streit, weder in der Sache noch bezüglich der Personen. Das Gehakel ist so alt wie die zionistische Bewegung, und Ronald Lauder wirft nicht erst seit heute sein organisatorisches und politisches Talent sowie sein finanzielles Gewicht gegen Jerusalemkompromisse in die Waagschale.
Anfang des 20. Jahrhunderts war der Zionismus eine hoffnungslose Minderheitsbewegung in der jüdischen Welt. Unter der Führung von David Ben Gurion haben die Zionisten dann argumentiert: Nicht die Masse, sondern die Klasse, nicht die Quantität, sondern die Qualität jüdischer Positionen entscheide. Das »objektiv Beste«, den »allgemeinen Willen« des jüdischen Volkes verkörpere der Zionismus, der damit das »objektive Interesse« aller Juden vertrete. Gedankliche Anleihen hatte man dafür bei der kommunistischen Bewegung aufgenommen, die es auch nicht geschafft hatte, die Mehrheit derer zu gewinnen, die sie zu vertreten vorgab: die Arbeiterschaft.
Der zionistische Anspruch schien einer jüdischen Mehrheit vor Hitler lächerlich. Doch mit dem Machtantritt des Diktators verging ihr das Lachen. Die Weltsicht des Zionismus war bestätigt worden: Juden brauchen einen jüdischen Staat. Dieser wurde 1948 gegründet und nahm von Anfang an für sich in Anspruch, für »die Juden« zu sprechen. Damals war die Diaspora in den USA noch nicht so gut und dicht organisiert wie heute. Doch es regte sich bereits Widerspruch gegen diese Sichtweise. Mitsprache in Israel, so Ben Gurion und die meisten Israelis bis heute, habe jeder Jude – wenn er Staatsbürger Israels sei oder werde. Sonst nicht. Warum nicht? Weil im Konflikt- oder Kriegsfall die Israelis ihren Kopf hinhalten.
Dass Juden in New York, Miami Beach, Berlin oder München bis zum letzten Blutstropfen der Israelis kämpfen, behagt diesen nicht. Kann man das nicht verstehen? Eine persönliche Erinnerung: Obwohl Diaspora-Jude, diente ich von 1967 bis 1970 freiwillig in Israels Streitkräften. Wenn Juden aus aller Herren Länder in wohltemperierten Edelbussen an uns Soldaten vorbeifuhren, huldvoll winkten und lächelnd riefen: »Nun siegt mal schön«, explodierten keine arabischen Granaten, aber israelische Soldaten – vor Wut und Empörung.
Bis 1977, dem Amtsantritt Menachem Begins, waren die Fronten geklärt: Israels Führungsrolle war unumstritten. Das änderte sich durch die Siedlungs- und Friedenspolitik mit Ägypten. Beides hat die Gesellschaft Israels gespalten. Jede Seite versuchte, einflussreiche amerikanische Juden und besonders den Jüdischen Weltkongress für sich zu gewinnen – als jeweilige Lobby in der US-Politik und als Spender. Hinzu kam: Die innerisraelische Spaltung schwappte auf die Diaspora über. Diese wiederum machte sich längst keine Vorwürfe mehr, nicht in Israel zu leben. Noch besser wurde das einst schlechte Gewissen dadurch, dass man ja von Israel, zumindest einem Teil, umworben wurde. Das bedeutet: Israel hat sich die Mitsprache der Dia- spora selbst beschert, und auf dieses Geschenk möchten die Beschenkten nun nicht mehr verzichten. Das nennt man Besitzstandswahrung.
Längst ist es zu spät, das Rad zurückzudrehen. Yitzhak Rabin hat es 1994 versucht: »Haltet die Klappe«, rief er Amerikas jüdischen Organisationen sinngemäß zu, als die seine Friedenspolitik kritisierten. Ähnliches wiederholte Olmert kürzlich. Das hörten sie nicht gerne, Ronald Lauder schon gar nicht. Denn er ist ein Verbündeter des alten Ariel Scharon, der 2001 Premier Ehud Barak wegen seiner Friedenspolitik attackiert hatte. Massiv mobilisierte Lauder im israelischen Wahlkampf Leute und Geld zugunsten Scharons und damit gegen israelische Kompromisse in der Palästinenserpolitik. Der neue Scharon hat als Premier bekanntlich selbst aktive Friedenspolitik betrieben und verprellte damit als vermeintlicher »Verzichtspolitiker« Freunde in Israel und der Diaspora. Der neue Krach ist also ein alter Hut. An seiner Sprengkraft ändert das nichts.
Der Autor ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München und Publizist.