von Gabriela Hermer
Wenn Aliza Olmert nach Hause kommt, stößt sie zunächst auf eine Gruppe von Demonstranten, die sich seit Monaten vor der Residenz versammeln, in der die First Lady mit ihrem Mann Ehud, dem israelischen Ministerpräsidenten, wohnt. »Olmert – Versager« und »Du bist gefeuert«, liest sie auf den Schildern. Kein schönes Gefühl. Doch viel lieber als über Politik redet die ungewöhnliche Premiersgattin über ihren Traum: Den Traum, einmal in einem »ganz normalen« Land zu leben, wie sie es nennt, einen Alltag zu führen, in dem die Angst vor Krieg nicht unentwegt mitschwingt. »Ich weiß gar nicht, wie sich das anfühlt«, sagt Aliza Olmert, »aber ich vermute, es könnte mir gefallen.«
1946 wurde sie in Deutschland geboren. Ihre Eltern kamen aus Osteuropa, haben die Gräueltaten Hitlers und Stalins überlebt und fanden zunächst Zuflucht in einem Displaced-Persons-Lager im hessischen Eschwege. Drei Jahre später emigrierte Aliza mit ihren Eltern nach Israel. Sie zogen nach Jaffa. Obwohl sie Tausende von Kilometern hinter sich gelegt hatten, fanden sie Ähnliches vor: Auch hier ringsherum traumatisierte Flüchtlinge, auch hier Häuser, die Ruinen glichen – stumme Zeugen des israelischen Unabhängigkeitskriegs. Von diesem Ort und dieser Zeit handelt Aliza Olmerts eindringlicher autobiografischer Roman Ein Stück Meer, der nun auf Deutsch erschienen ist.
Aus der Perspektive des kleinen Mädchens erzählt die Autorin von dem schwierigen Versuch ihrer Familie, neue Wurzeln in Israel zu schlagen. Aliza Olmerts Vater hatte in Litauen Landwirtschaftslehre studiert. Mit seinem Wissen wollte er später einmal die judäische Wüste zum Blühen bringen. Um sich und seiner Familie im Gelobten Land eine finanzielle Lebensgrundlage zu sichern, brachte er Unmengen von Gürtelschnallen der deutschen Wehrmacht, die er in einem brachliegenden Hinterhof gefunden hatte, mit nach Israel. Die Schnallen wollte er der israelischen Armee verkaufen. Doch er scheiterte. Er war ein Träumer, der die zionistische Ideologie so stark verinnerlicht hatte, dass er nicht merkte, wie weit die Realität in diesem heißen, staubigen Land von seinen Visionen entfernt war. Die erste Enttäuschung setzte ein, als er feststellen musste, dass die Menschen im jüdischen Staat ihre Wohnungstüren abschlossen, statt sich gegenseitig zu vertrauen. Weitere Enttäuschungen folgten. »Mein Vater dachte wirklich, Israel sei eine große Familie, in der jeder jedem hilft. Doch die Realität sah ganz anders aus. Darüber ist er nie hinweggekommen.«
Alizas Mutter hingegen war eine kultivierte Dame der polnischen Bourgeoisie, die sich weigerte, ihre europäischen Gepflogenheiten abzulegen, die nicht dazugehören wollte zu diesem Land der Verheißung. »Sie hat versucht, in den Ruinen von Jaffa ein zweites Lodz zu erschaffen«, erzählt Aliza Olmert. »Auf ihre Weise ist ihr das gelungen.«
Mit viel Humor und einer Portion Melancholie beschreibt die Autorin in ihrem Debütroman, wie ihre Mutter in der Wohnung eine polnische Bücherei eröffnet; das Wohnzimmer verwandelte sich in das polnische Kulturzentrum der Stadt. Alizas Mutter blühte wieder auf, doch blieb sie in Israel eine Außenseiterin, ihr Leben lang.
Die kleine Aliza stand vor der Wahl: Sie hätte eine Fremde werden können wie ihre Mutter, oder ein Träumer, wie ihr Vater. »Beides gefiel mir nicht. Deshalb passte ich mich der Straße an und nicht meiner Familie. Ich wollte eben ein ganz nor- males israelisches Mädchen werden.«
Die ersten Freundschaften knüpfte sie dann ausgerechnet mit Arabern. »Ich verstand die Sprache der Kinder auf der Straße ohnehin nicht und konnte nicht unterscheiden, ob sie hebräisch oder arabisch redeten. Für mich waren sie alle gleich.«
Vielleicht waren es diese Kindheitserfahrungen, die ihr späteres politisches Denken geprägt haben. Aliza Olmert wurde zu einer leidenschaftlichen Friedensaktivistin, auch nachdem ihr Mann, den sie während des Studiums an der Hebräischen Universität in Jerusalem kennengelernt hatte, als rechtsgerichteter Bürgermeister die Stadt regierte.
Heute ist ihre politische Stimme leiser geworden. Nicht etwa, weil sie nun Israels First Lady ist – die politische Show mache sie ohnehin nicht mit –, sondern weil die Lage in Israel komplizierter geworden sei. »Die linken Ideale haben sich zum Teil als Wunschdenken entpuppt.«
Resigniert wirkt die drahtige Frau mit dem gepflegten grauen Kurzhaarschnitt jedoch nicht. In der Kunst schafft sie sich ihre eigene Realität – eine Freiheit, die sie sich bewahrt hat, auch nachdem ihr Mann zum Premier avancierte. Aliza Olmert, siebenfache Großmutter, arbeitet als Dramaturgin, Schriftstellerin, Fotografin und Malerin. Überall in der Residenz des Paares hängen ihre Ölgemälde: idyllische, bergige Landschaften aus dem Umland Jerusalems.
Doch ganz schottet sie sich nicht ab. Als First Lady nutzt sie ihre Möglichkeiten, die sozialen Zustände im Land zu beeinflussen. Sie gründete ein Hilfswerk für missbrauchte und vernachlässigte Säuglinge. Kürzlich berichteten israelische Zeitungen über ihr Geschick, über inoffizielle Kanäle die Freilassung eines sudanesischen Mädchens zu erzielen, das auf der Flucht nach Israel von einem ägyptischen Grenzbeamten entführt worden war. Heute ist die sudanesische Familie wieder vereint, dem Vater hat Aliza Olmert eine Arbeit verschafft.
In Israel ist es kein Geheimnis, dass nicht nur sie, sondern auch die fünf Kinder des Ehepaars Olmert auf der linken Seite der politischen Landkarte stehen. Ob sie sich mit ihrem Mann nicht hin und wieder über Politik streitet? »Immer weniger«, sagt Aliza Olmert lächelnd. »Langsam macht Ehud Fortschritte.«
aliza olmert: ein stück meer
Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler und Eldad Stobezki
Aufbau, Berlin 2007, 250 S., 19,95 €