von Sabine Brandes
Das Lokal am »Chof Ha’Zuk«, dem Strand von Herzliya, ist gut gefüllt wie jeden Tag im Sommer. Fast alle gelben Plastikstühle sind besetzt, die Kellner balancieren Tabletts mit kühlen Ge- tränken durch den Sand. Paßend zur Ferienidylle planschen Kinder im Mittelmeer. Einzig die Auswahl der Musik läßt ahnen, daß etwas anders ist als sonst. Statt Top-Ten-Hits berieselt leise hebräische Musik die Kunden. In Israel herrscht Krieg. Nur eine Autostunde weiter nördlich rennen die Menschen im Katjuscharegen um ihr Leben. Hier, in und um Tel Aviv, reiben sie ihre Körper mit Sonnenöl ein.
Einer von ihnen ist Erez Ben-Artzi. Er hat sich auf einem Liegestuhl ausgestreckt und liest die Tageszeitung. Eigentlich wollte er jetzt Urlaub in der Türkei machen, doch kurzfristig habe er storniert. »Das hätte ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren können«, sagt der 33jährige. »Während meine Landsleute um ihr Leben fürchten, kann ich mich nicht im Ausland entspannen.« Hier aber ginge das. »Das ist mein Land, da lebe ich jeden Tag und kann auch im Krieg an den Strand gehen.« Schließe er sich zu Hause ein, würde das ja auch niemandem nützen, sagt Erez Ben-Artzi. Außerdem zeige er Hisbollah-Anführer Nasrallah auf diese Weise, »daß er uns niemals unterkriegen wird«.
Im Zentrum und Süden des Landes scheint alles seinen gewohnten Gang zu gehen. Die Straßen von Jerusalem und Tel Aviv sind verstopft wie immer, Frauen wie Männer hetzen in ihre Büros und stöhnen über die Sommerhitze. In Eilat schnorcheln Touristen unbeirrt entlang des Korallenriffs. Gewöhnlicher Alltag. Aber nichts mehr, wie es war. Die meisten Menschen sind in tiefer Sorge, was werden wird. Radiostationen senden alle 30 Minuten Verhaltenstips bei Katjuscha-Angriffen und rufen dazu auf, Familien aus dem Norden aufzunehmen. Die Hilfsorganisation Hatzon Jeschaya, die sich sonst um die Ärmsten kümmert, beliefert jetzt die in den Bunkern Eingeschlossenen in Naharija, Haifa und Kirjat Schmona mit dem nötigsten. Außerdem hat sie ihre Suppenküchen in Jerusalem mit Klapptischen und -stühlen erweitert, um jene verpflegen zu können, die vorübergehend aus dem Norden geflohen sind. Durchhalteparolen auf blau-weißem Grund haben die Werbung an den Bushaltestellen abgelöst, überdimensionale Bildschirme des Street-TV zeigen Kampfjets, die ihre Bahnen in Form eines Davidsterns ziehen. »Am Israel chai – das israelische Volk lebt.«
Daran glauben auch die fast 500 Neueinwanderer, die vor wenigen Tagen mit Sondermaschinen aus den USA und Kanada eingereist sind. »Alija in Zeiten des Krieges« titelte eine lokale Zeitung und lobte Mut sowie zionistischen Geist der Familien. »Wenn sie jetzt kommen, gehören sie wirklich hierher«, sagt Mir Arkin, deren Vater vor 45 Jahren von Australien nach Israel gekommen war. Auf einem Spielplatz in Raanana sitzt sie mit ihren Zwillingstöchtern Gaja und Jalli. Die Vierjährigen schaukelen und rutschen, ihre Mutter winkt und lächelt ihnen zu. Natürlich halte sie an der Routine ihres Alltags fest, gehe arbeiten, erledige den Haushalt und spiele mit den Kindern. »Es muß ja weitergehen«, sagt die Computerspezialistin bedrückt.