von Fabian Wallmeier
Montagmittag in der Frankfurter Lichtig-feldschule. Der 13-jährige Lennard ist noch ganz erfüllt von den vergangenen drei Wochen Berufspraktikum bei einem Dienstleistungsunternehmen im nahe ge-legenen Eschborn. »Ich habe an Servern und PCs geschraubt, das Lager eingeräumt und Netzwerke gepatcht«, erzählt er be-geistert. »Aber du hast auch den Leuten, die dort im Service gearbeitet haben, über die Schulter geschaut«, bremst die Lehrerin Daniela Brandes vorsichtig seinen mit Fachbegriffen aus der Computerwelt gespickten Vortrag. Sie lächelt ihm freundlich zu, er lächelt kess zurück. Ja, er habe auch viel vom Zuschauen gelernt, erinnert er sich. Dann auf einmal reißt er die Augen auf: »Die Kantine war toll. Da gab es das beste Essen meines Lebens«, ruft er. »Koscher war es nicht, aber gut abgestimmt«, fügt er grinsend hinzu.
Die Lichtigfeldschule ist eine jüdische Schule. Das ganze schulische Leben ist jüdisch geprägt – und das betrifft neben dem Religionsunterricht und der Integration jüdischer Themen in andere Fächer eben auch das Essen. Dass es in der Kantine von Lennards Praktikumsanbieter kein koscheres Essen gab, war für ihn nicht schlimm – er gehört zu den rund 30 Prozent nichtjüdischen Schülern. Aber auch für die meisten seiner Mitschüler ergab sich daraus kein Problem. Die 13-jährige Olivia, die in ihrem Praktikum als Dekorateurin gearbeitet hat, hat sich in den Pausen selbst mit Essen versorgt. »Ich bin aber auch nicht streng religiös, da spielte es keine Rolle, ob es koscheres Essen gab oder nicht«, sagt sie. Daniela Brandes hat mit den Schülern das Praktikum vorbereitet und sie während der drei Wochen begleitet. Die Schüler mussten sich ihre Praktikumsplätze selbst organisieren, Brandes hat aber mit jedem Unternehmen vor Praktikumsbeginn gesprochen. Dabei ging es auch um einige explizit jüdische Themen. »Auch das Essen habe ich angesprochen. Eine Schülerin lebt zum Beispiel streng koscher. Sie hat sich dann ihr eigenes Essen zur Arbeit mitgebracht«, sagt sie. »Es ging uns bei den Vorgesprächen um sichere Arbeitsplätze und darum, dass es nicht zu Pöbeleien kommt«, ergänzt Rafael Luwisch, stellvertretender Schulleiter und Lehrer einer der beiden achten Klassen. Die Einhaltung des Schabbat war kein Problem – der einzige Schüler, der in seinem Praktikum auch samstags arbeiten musste, ist kein Jude. Insgesamt spielte die jüdische Herkunft der Schüler aber nur eine untergeordnete Rolle. Zwar wurden Gemeindemitglieder in einem Bericht in der Gemeindezeitung vorab gebeten, Kontakte zu vermitteln, aber unter den Arbeitgebern waren letztlich nur wenige Juden. »Unsere Schüler sollten die Arbeitswelt so, wie sie ist, erfahren – und dafür müssen sie auch die Welt außerhalb der Gemeinde kennenlernen«, sagt Schulleiterin Alexa Brum.
Die 26 Schülerinnen und Schüler der achten Klassen sind die ersten der Lichtigfeldschule, die ein Berufspraktikum gemacht haben. Das hat den einfachen Grund, dass die Schule erst seit ihrem Umzug in das traditionsreiche Philanthropin in der Hebelstraße im Jahr 2006 eine gymnasiale Mittelstufe hat. Zuvor war sie eine Grundschule mit Eingangs- und Förderstufe. In Hessen ist ein Berufspraktikum für die achte oder neunte Klasse vorgeschrieben. Da seit der Verkürzung der Schuljahre bis zum Abitur von 13 auf zwölf Jahre die Oberstufe schon in der zehnten Klasse beginnt, entschied die Lichtigfeldschule sich für die achte Klasse, um die neunte Klasse nicht zu überfrachten.
Die Schüler ziehen für das erste Berufspraktikum der Lichtigfeldschule eine positive Bilanz: »Das Feedback, das ich von den Schülern bekommen habe, war zu drei Vierteln positiv und nur zu einem Fünftel negativ. Bei diesem Fünftel kamen die Schüler nicht so recht zum Zug«, sagt Daniela Brandes. Die Schüler waren an sehr unterschiedlichen Praktikumsorten. Das Spektrum reichte von der Sportabteilung im Kaufhaus bis zum Museum, vom Orthopäden bis zum Grafikdesigner, vom jüdischen Altenzentrum bis zur Bankfiliale.
Der 14-jährige Thomas entschied sich für einen integrativen Kindergarten. »Ich war beeindruckt, wie viel die dort leisten«, erzählt er. Doch obwohl Brandes von ih-rem Besuch im Kindergarten berichten kann, dass Thomas dort »sehr gut angekommen« sei, kann er sich die Arbeit im Kindergarten für später nicht vorstellen. Die hohe Verantwortung für die Kinder sieht er als schwierig an. Die 13-jährige Rina hingegen möchte später in einem ähnlichen Feld arbeiten wie im Praktikum. Bei der deutschen Zweigstelle des Filmstudios »20th Century Fox« hat sie unter anderem dabei geholfen, einen Pressespiegel zu erstellen. »Ich möchte später Publizistik studieren und Journalistin werden«, sagt sie bestimmt. Auch wenn die Praktika insgesamt gut gelaufen sind, würde Daniela Brandes beim nächsten Mal ein paar Kleinigkeiten anders machen. »Wir müssen früher anfangen mit der Suche nach Praktikums-stellen. Einige exotischere Prakti- kums-wünsche konnten wir leider nicht mehr realisieren. In einem Theater zum Beispiel gab es eine Wartezeit von zwei Jahren. Da war nichts mehr zu machen«, sagt sie. Ein erster Schritt in die Richtung ist bereits getan: Schon mit dem kürzlich verteilten Halbjahreszeugnis wurden die Schüler der siebten Klasse aufgefordert, sich bei ausgefallenen Wünschen bald zu melden.
Die Schüler der achten Klasse müssen jetzt erst einmal ihre Eindrücke verarbeiten – und bis zu den Frühjahrsferien einen siebenseitigen Bericht abgeben.