Klagemauer

Das Ende der Enge

von Sabine Brandes

Den Siddur unter dem Arm, zwängen sie sich zwischen Schulklassen und Touristinnen aus aller Welt hindurch, stehen mit einem Wunschzettel in der Hand in langen Schlangen: Frauen an der Klagemauer. Während der Vorplatz der Männer geräumig ist, haben die weiblichen Gläubigen manchmal kaum Platz, ihre Gebetbücher aufzuklappen. Wer einen der begehrten Plätze auf einem der weißen Plastikstühle möchte, muß früh aufstehen – oder spät kommen.
Die 2.000 Jahre alte Steinmauer ist Überbleibsel des Zweiten Tempels und höchstes jüdisches Heiligtum. Sie wird geehrt, geliebt und geschützt. In Massen pilgern die Menschen an die Mauer, um in ihrem Schatten inbrünstig Gebete gen Himmel zu senden. Juden, die nicht persönlich kommen können, schicken Faxe. Alles ist möglich an der Klagemauer. Nur Gleichberechtigung bei der Platzverteilung gibt es nicht.
Das soll jetzt anders werden. Zum ersten Mal seit der Wiedervereinigung Jerusalems im Jahre 1967 wird der Platz erheblich erweitert werden. Bürgermeister Uri Lupolianski scheint die jahrzehntelangen Klagen der weiblichen Betenden nach Jahren des Taubstellens endlich vernommen zu haben. Vor kurzem gestand er in einem Offenen Brief ein, daß der Frauenbereich an der Klagemauer viel zu klein und vor allem zu eng sei.
Während es Männern gestattet ist, in Tallitot (Gebetsschals) gehüllt mit vernehmbarer Stimme in der größten Freiluftsynagoge der Welt zu beten, müssen sich Frauen leise und unauffällig verhalten. »Ihre Stimmen dürfen die Männer nicht ablenken«, klagen namhafte Rabbiner immer wieder ein.
Anat Hoffman wollte diese Benachteiligung nicht hinnehmen. Seit 1988 führt sie die israelisch-amerikanische Gruppe der »Frauen der Mauer« an und setzt sich mit ihnen für die vollständige Gleichberechtigung ein. Auch weibliche Gläubige sollen, wenn es nach der Gruppe geht, vor der Klagemauer Tallit und Kippa tragen sowie hörbar beten und singen dürfen. Zudem soll ihnen das Toralesen gestattet sein. Nach 15 Jahre dauernden Auseinandersetzungen vor verschiedenen Gerichten jedoch entschied der Oberste Gerichtshof 2004 endgültig, daß diese Privilegien allein dem männlichen Geschlecht vorbehalten sind – und es auch künftig sein werden.
Stacey Cohen ist Amerikanerin und gläubige Jüdin. Vor fünf Jahren wanderte sie nach Israel ein. Ein langgehegter Traum wurde wahr. Schon vor ihrer Alija hatte sie sich gewünscht, an der Klagemauer zu beten. »Es ist für mich der spirituellste Ort überhaupt und einer der Gründe, warum ich nach Jerusalem gezogen bin.« Doch ihre ersten Erfahrungen seien gelinde gesagt ernüchternd gewesen. »Aus meiner Heimatgemeinde in New York war ich es gewohnt, mit den anderen Mitgliedern laut zu singen, und so habe ich es hier auch gemacht. Aber das, was ich daraufhin zu hören bekam, kann ich gar nicht wiederholen. Es waren Beschimpfungen der schlimmsten Art, sogar Gegenstände sind geflogen. Ich habe das Gefühl, viele Menschen vergessen an diesem heiligen Platz ihre grundlegenden Manieren. Das macht mich sehr traurig.«
Cohen sieht der Erweiterung des Frauenplatzes zwar positiv entgegen, ihr Enthusiasmus aber hält sich in Grenzen. Die Größe sei nur ein Teil der Diskriminierung gegen Frauen an der Klagemauer, ist sie überzeugt. »Aber wenigstens wird die Enge dann endlich ein Ende haben.«
Für einen gewissen Grad an Gleichheit scheint sich Lupolianski tatsächlich einsetzen zu wollen. Mit der Bitte, den Frauenbereich an die Größe des Männerbereichs anzupassen, wandte er sich an das Büro des Premierministers. Doch wer glaubt, die Männer müßten einen Teil zugunsten des anderen Geschlechts abgeben, der irrt gewaltig. Der Bürgermeister will, daß die Route des Mugraby Pfades, der direkt zum Tempelberg führt, geändert wird. Vor einigen Jahren war eine Stützwand des Pfades zusammengebrochen und das Areal eingezäunt. Derzeit wird dort restauriert.
Nun will Lupolianski, daß der Pfad in die unmittelbare Nähe des Klagemauer-Eingangs gelegt wird. Dadurch könnte das Frauenareal zwar vergrößert werden, doch ob sich die moslemischen Betenden so einfach damit abfinden, ist fraglich. Nach seiner Feststellung, »es gibt keinen Grund, warum die Männer eine große, bequeme Plaza haben, während die Frauen sich an der für Juden heiligsten Stätte drängeln müssen«, wird Lupolianski sich jetzt an seinen Taten messen lassen müssen.

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