von Dirk Hempel
Rafael Cohen (Name geändert) ist noch nicht lange in Berlin. Doch die Behörden der Hauptstadt kennt er schon ganz gut. Der Versuch, einen Personalausweis zu beantragen, führte ihn durch etliche Amtsstuben. Denn Cohen besitzt neben der deutschen auch die israelische Staatsbürgerschaft.
Mit Jahresbeginn zieht der 26jährige aus Tel Aviv nach Berlin, in den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. An einem kalten Freitagmorgen im Januar geht er zum Bürgeramt an der Neuköllner Sonnenallee, er will sich anmelden. Von den roten Plastikstühlen im Warteraum sind nur zwei besetzt. Nach fünf Minuten betritt der 2002 eingebürgerte Cohen Raum 106 und wird wieder hinausgeschickt: Formular ausfüllen und eine neue Nummer ziehen.
Zehn Minuten und vier Nummern später sitzt er in Raum 107. Die dortige Sachbearbeiterin tippt die Daten ein, doch mit Cohens beiden Pässen hat sie ein Problem: »Dafür habe ich nur ein Feld im Computer«, erklärt sie und verschwindet für zehn Minuten hinter einer grünen Tür. Mit ihrer Rückkehr ist das Warten nicht beendet. »Das dauert jetzt«, sagt sie und gibt Cohen die Nummer 003. Langsam versteht der Deutsch-Israeli, warum im Warteraum ein Reklameschild des Rechtsanwalts und früheren SPD-Abgeordneten Hans-Georg Lorenz »Behördenbegleitungen« anpreist. Es dauert etwa 75 Minuten, dann leuchtet die 003 grün auf schwarz von der Anzeigetafel. Cohen bekommt seine Meldebestätigung, aber keinen Personalausweis. »Ohne Staatsbürgerschafts- nachweis können Sie den nicht beantragen«, erklärt ihm die Sachbearbeiterin. Zuständig dafür sei die Einbürgerungsbehörde in Friedrichshain-Kreuzberg.
Ein übliches Vorgehen, bestätigt Erhard Portner, Referent für Meldeangelegenheiten bei der Berliner Innenverwaltung. Bei Zuzug aus einem anderen Bundesland oder dem Ausland werde ein solcher Nachweis gefordert. Das gelte »immer, wenn Zweifel nicht völlig ausgeschlossen werden können«. Jene rund 133.000 Deutschen, die eine zweite Staatsangehörigkeit besitzen, betreffe das nicht. Laut dem Statistischen Landesamt Berlin waren Mitte letzten Jahres 705 Israelis darunter. »Ist die doppelte Staatsbürgerschaft im Melderegister erfaßt, brauchen wir keinen Nachweis«, sagt Portner im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen.
Cohen aber ist neu in Berlin und muß beweisen, daß er Deutscher ist. Ein Anruf beim Bürgeramt Friedrichshain-Kreuzberg verläuft freundlich, aber ergebnislos. Die Zentrale verbindet ihn, er trägt sein Anliegen vor und die Dame am anderen Ende erklärt: »Würde ich Ihnen gerne ausstellen, aber wir sind das Jugendamt.« Der dritte Versuch ergibt: Er muß zur Einbürgerungsbehörde, Frau Kapuczinski, »im Zimmer neben 3087«, montags von neun bis zwölf oder donnerstags von 13 bis 18 Uhr.
Schon erwägt Cohen, auf einen Personalausweis zu verzichten. Doch bei einer Veranstaltung der Jüdischen Gemeinde hört er, das Problem tauche spätestens bei einer Paßverlängerung auf. Das wäre kommendes Jahr. Also geht er am Montag vergangener Woche in die Kreuzberger Yorckstraße. Er fragt sich durch zu Frau Kapu- czinski, Zimmer 3088. »Staatsbürgerschaftsprüfungen« steht an der Tür, die Öffnungszeiten stimmen. Cohen klopft, Stille. Er drückt die Klinke, abgeschlossen. Ratlos zieht er eine Nummer für den Nebenraum, die Erstantragsstelle für Einbürgerungen. 25 Minuten später sitzt er vor drei Behördenmitarbeitern. Den Nachweis könne er bekommen: Bearbeitungszeit mehrere Wochen, Kostenpunkt 25 Euro. »Den Personalausweis gibt’s auch ohne«, ergänzen die drei vom Amt leicht amüsiert. Ihr Tip an den Neu-Berliner: »Versuchen Sie es einfach noch mal.«
Cohen zieht also weiter. In Raum 3055 holt er seine nächste Wartenummer, eine halbe Stunde später sitzt er in Zimmer 17. »Hier steht was von Staatsbürgerschaftsnachweis«, sagt die Sachbearbeiterin nach einem Blick in den Computer. Verzweifelt zitiert Cohen die knapp 30 Meter entfernten Kollegen. »Die Einbürgerungsurkunde reicht doch«, beschließt die Dame, kassiert acht Euro und klebt Cohens Foto auf. In vier Wochen könne er seinen Ausweis abholen – »in Raum 3057, ohne Wartenummer, aber mit der Urkunde im Original«. Das bekommt Cohen in Kreuzberg sogar schriftlich. Unterschiede in den einzelnen Bürgerämtern, auch das ist laut Erhard Portner von der Berliner Innenverwaltung normal, sind abhängig vom »Fingerspitzengefühl unserer Mitarbeiter« und den Arbeitsanweisungen der Bezirke.
Noch bevor er seinen Personalausweis abholt, wird Rafael Cohen übrigens seine Tour durch deutsche Amtsstuben fortsetzen. Weil der studierte Politologe einen Job sucht, muß er demnächst zur zuständigen Arbeitsagentur.