von Kathrin Lauer
Samstag, 25. August, historisches Burgviertel Budapest: Direkt vor dem Amtssitz des ungarischen Staatspräsidenten Laszlo Solyom marschieren 56 schwarz uniformierte Männer auf. Sie tragen Wappen mit rot-weißen Streifen, den Farben der ungarischen Nazis. Sie stehen stramm und schwören im Chor, Ungarn zu verteidigen.
Was wie ein böser Traum anmutet, ist die Vereidigung der sogenannten Ungarischen Garde, die der 29-jährige Gabor Vona, Vorsitzender der rechtsextremen Bewegung »Jobbik«, gegründet hat. Erklärtes Ziel ist es, das »physisch, geistig und seelisch wehrlose« Ungarn zu verteidigen. Bis Jahresende will Vona 2.000 Kämpfer anwerben. Ihre Urkunden bekommen die Gardisten aus der Hand des früheren Verteidigungsministers Lajos Für. Er gehörte als Mitglied der Mitte-Rechts-Partei MDF der ersten Nachwende-Regierung (1990-1994) an. Drei Geistliche – ein katholischer, ein evangelischer und ein reformierter Pfarrer – weihen die Fahne der Garde. Etwa 3.000 Anhänger schauen bei der Zeremonie zu und brüllen Parolen gegen die sozial-liberale Regierung.
Wochen zuvor hatte der Verband der Jü-dischen Gemeinden Ungarns, MAZSIHISZ, vor der Gefahr dieser paramilitärischen Garde gewarnt, deren Symbolik jenen der faschistischen ungarischen Pfeilkreuzler zum Verwechseln ähnlich sieht. Der Verband rief die Regierung auf, deren Formierung zu verhindern. Später schloss sich auch der Jüdische Weltkongress und der Europäische Jüdische Kongress dem Aufruf an. Doch die Regierung tat nichts weiter, als die Garde offiziell zu missbilligen. Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany bat den Generalstaatsanwalt, die Gruppe überwachen zu lassen. Ein Verbot gilt als schwer erreichbar, weil die Symbole der Garde mit jenen der Faschisten nicht identisch sind, sondern diesen nur ähneln. Zudem ist das Waffentragen, zu dem der Obergardist Vona aufrief, nicht in der Satzung der Garde festgeschrieben und gilt deswegen nicht als Argument für ein Verbot.
Dass die Garde nicht verboten werden solle, meint auch Miklós Malóschik (34), Besitzer eines Cafés im Budapester jüdischen Viertel. »Wir sind noch Lehrlinge in Sachen Demokratie, wir müssen lernen, mit Extremisten umzugehen«, sagt er. Malóschik vertritt den klassischen Budapester Nachwende-Liberalismus, aber auch die Haltung seiner Generation, wie sie sich zum Beispiel im frechen Internet-Forum Judapest.hu äußert. Dort tauschen junge Juden Meinungen aus. Die Bloggerin Zsófi meint, dass man der Ungarischen Garde gerade dadurch eine Freude bereite, dass man sie ernst nehme. Sie weist ihren Chat-Partner J-Bone zurecht, der zuvor ironisch die Bildung einer »Judapest-Garde« vorgeschlagen hatte, die, bewaffnet mit Fahrrädern, »die sich selbst hassenden Juden bestrafen« soll.
Erschrocken ist vor allem die Generation jener, die die Schoa erlebt haben. Rosa Deutsch (81), Überlebende des KZs Ravensbrück, ist wütend auf Staatspräsident Sólyom. »Er hat die Garde nicht verurteilt und er wird dies wohl auch nicht tun.« Die Zeitung »Szombat«, herausgegeben vom Budapester Jüdischen Kulturverein, versucht, ihre Leser zu beruhigen. Man müsse sich vor der Garde nicht fürchten, sondern sollte ihre Taten dokumentieren und rechtliche Mittel einsetzen, schreibt Attila Novák. Er macht die innenpolitische Lage für das Erstarken des Rechtsextremismus verantwortlich. Um Stimmen zu fangen, distanziere sich die rechtsnationale Oppositionspartei FIDESZ nicht von den Extre- misten. Die regierenden Liberalen und Sozialisten, so Novák, sollten »nachgrübeln, inwiefern die Tatsache, dass sie die Phraseologie der Menschenrechte und des Antifaschismus ausgenutzt haben, ohne zugleich die Ausweitung von Korruption und Nepotismus in den eigenen Reihen zu verhindern, zur Verwilderung einer Generation beigetragen hat«.
In Nováks Worten spiegelt sich die tiefe Glaubwürdigkeitskrise der ungarischen Regierung wider. Im vergangenen Herbst war publik geworden, dass Premier Gyurcsany vor seinen sozialistischen Parteifreunden eingeräumt hat, das Volk im Wahlkampf belogen zu haben. Es folgten Demonstrationen mit Ausschreitungen Rechtsradikaler. Auch für den Cafébesitzer Malóschik steht dies als ungelöste moralische Frage weiter im Raum. »Dennoch: Der reformfreudige Gyurcsany ist der Beste, den die Sozialisten haben.«