Was bedeutet es, Jude zu sein? Darüber könnte man wohl ewig philosophieren. Im Theaterstück Mischpoke brauchen Autorin Dagrun Hintze, Regisseur David Benjamin Brückel und zehn Dresdner Laiendarsteller nur anderthalb Stunden, um eine Revue des Jüdischseins zu präsentieren.
Von Adam und Eva bis Pegida hüpft das Stück der Bürgerbühne von Thema zu Thema: der Holocaust, der Antisemitismus in der DDR, Kontingentflüchtlinge und ahnungslose Ausländerbehörden (Wo beten Juden noch – in der Moschee?), Vorurteile (»Alle Juden sind reich«), Diskriminierung, Schuldgefühle, verlorene und wiedergefundene Traditionen, die »jüdische Seele« und Israel als Zuflucht und Ort des Schreckens (»Mit 18 gehört dein Körper der Armee«).
Uneinigkeit Allgemeingültige Wahrheiten verkündet Mischpoke nicht. Vielmehr legt es das Stück auf Verwirrung geradezu an und wünscht, dass das Publikum sich seine eigene Meinung bildet. Schließlich ist man sich innerhalb der »Familie« wunderbar uneins: »Alle Juden stimmen darin überein, mit anderen Juden nicht übereinzustimmen«, sagt der jüngste Schauspieler, der zwölfjährige Joshua Lautenschläger.
Konformität ist schon deshalb ausgeschlossen, weil individuelle Biografien und Erfahrungen die Basis des Theaterstücks bilden. Autorin Hintze und Regisseur Brückel sprachen mit Juden in und außerhalb der Gemeinde in Dresden sowie der Bildungs- und Begegnungsstätte jüdischer Geschichte und Kultur in Sachsen, Hatikva.
Die Lebensgeschichten der Darsteller prägen das Stück. Das erfordert Mut. Dank des gewachsenen Vertrauensverhältnisses während der viermonatigen Arbeit an der Theaterproduktion waren die Schauspieler bereit, Persönliches preiszugeben und vor Publikum zu sprechen. »Wir hatten befürchtet, nicht so ohne Weiteres die nötigen Spielerinnen und Spieler zusammenzubekommen«, bekennt Dagrun Hintze.
Kontakte Letztlich war diese Sorge unbegründet: »Die Mischpoke fand sich ganz selbstverständlich.« Unter anderem durch die Unterstützung der Jüdischen Gemeinde, die Brückel und Hintze schon einbezogen, als sie erst vage Vorstellungen von ihrem Stück hatten. Die Theatermacher veranstalteten Infoabende und nutzten die Kontakte der »Jüdischen Musik- und Theaterwoche«.
So gelang es der Bürgerbühne, ein buntes Völkchen auf die Bretter zu bringen: Joshua, Dresdner und der einzige Jude auf seiner Schule. Oder Nichame Eselevskaya, die vor 25 Jahren aus Russland zuwanderte. Ebenso Felix Lehle, der junge Deutsche, der zum Judentum konvertieren will, seit er 14 ist. Und Ehud Roffe aus Israel, der in seiner Heimat persona non grata ist, seit er sich dem Wehrdienst entzog und sagt: »Ich bin Ehud, und sonst gar nichts.«
Will man Mischpoke auf einen Nenner bringen, dann auf den: »heimatlos, mobil und innerlich frei«, wie Joseph Roth die Juden und die Theaterleute nannte. Das passt zu den souverän agierenden Laiendarstellern mit sächsischen, schwäbischen, russischen, italienischen, israelischen und ukrainischen Wurzeln. Hier sorgen Hip-Hop-tanzende Ultraorthodoxe und überforderte Rabbis für Lacher. Schwere Kost – leicht serviert.
Weitere Termine in Dresden am 15. März und 2. April sowie beim zweiten Bürgerbühnenfestival in Mannheim am 27. März