von Philipp Killmann
Ein Herbstnachmittag vor dem Aachener Hauptbahnhof. Angestellte und Arbeiter eilen in ihren Feierabend. Sie wollen schnell nach Hause, denn bald ist es dunkel. Die Kinder und Jugendlichen haben es weniger eilig. Eine Gruppe Halbwüchsiger schlendert betont lässig in Baggy-Pants, jenen tief sitzenden, weiten Hosen, über den Bahnhofsvorplatz. Sie tra- gen helle Kapuzenjacken und Baseballkappen. Aus ihren Handys tönen die neuesten Rap-Hits, in denen von »Opfern« und »Schwuchteln« die Rede ist. Am Rand steht ein junger Mann in Lederjacke und beobachtet die Szene. Er trägt einen kurzgebundenen Zopf, »normal enge« Hosen und ist doch – wenn das die coolen Jungs wüssten! – ein echter Rapper. Einer, in dessen Texten es auch um Deutschlands dunkelste Vergangenheit geht.
Er heißt Danger Dan und hat im Sommer sein erstes Soloalbum herausgebracht. Man kann es im Internet downloaden, kostenlos. Seinen Lebensunterhalt verdient der 25-Jährige als Keyboarder der erfolgreichen Reggae-Band Jin Jin. Er ist es gewohnt, im Hintergrund zu wirken, sowohl auf der Bühne als auch sonst im Leben. Gleichwohl tritt er mit Jin Jin mitunter vor mehreren Tausend Menschen auf, also vor ungleich größerem Publikum als er es als Rapper tut, wo die Zuschauerzahl in der Regel bei unter 100 liegt. Als Danger Dan steht er, der im bürgerlichen Leben Daniel Pongratz heißt, seit einigen Wochen im Mittelpunkt. Das ist ihm fremd, doch hat er seine Nervosität gut unter Kontrolle.
Sich auf unbekannte Situationen und Menschen einzustellen, ist für ihn nichts Neues. Neben seiner Arbeit bei Jin Jin unterrichtet der junge Mann mit dem wachen Blick und der sonoren Stimme Musik in einer externen Hauptschulklasse. Kinder und Jugendliche, die bereits durch alle Schulformen gerasselt sind. Früher hätte er sich nicht träumen lassen, eines Tages Lehrer zu sein.
Nach dem Besuch von insgesamt neun Schulen, einschließlich des Abendgymnasiums, entschloss er sich vor einem Jahr, das Abitur doch nicht mehr zu machen. Seine, wie er sagt, »interessengesteuerte Aufnahmefähigkeit« habe ihn an einer geradlinigen Schullaufbahn gehindert. »Aber vielleicht habe ich gerade durch meine eigenen Schulprobleme wichtige Erfahrungen sammeln können, die mir heute als Lehrer nützlich sind«, sagt er rückblickend. Er habe eben immer andere Vorlieben verfolgt als die Schule. Das war zuallererst die Musik. Bereits mit sechs Jahren erhielt Danger Klavierunterricht, schon wenig später jammte er mit Bruder und Vater im hauseigenen Musikkeller. Mit 14 begeisterte er sich für Rap und stellte das Klavier erst mal hintan. Mit 16 besann er sich für eine Funk-Band wieder auf sein Lieblingsinstrument. Schließlich gelang es ihm, Rap und Klavier unter einen Hut zu bringen.
Seinen Umweg zum angestrebten Abi finanzierte er als Anzugverkäufer, Lehrer für Zirkuskinder, Inkassomann, Zeitungskurier, Songwriter im Theater, Studiopianist, Barkeeper einer Wärmestube für Obdachlose und als Statist für die Fernsehserie »Marienhof«. Einmal irrte er sich bei einem Vorstellungstermin in der Tür – und wurde dadurch Filialleiter einer Telekommunikationsfirma. Letzten Endes gelang es ihm, ohne Reifeprüfung einen Studienplatz zu ergattern. In den Niederlanden, mittels Aufnahmeprüfung. Dort studierte er ein Jahr lang Musiktherapie, legte dann aber das Studium wegen Tourverpflichtungen auf Eis.
Leichten Schrittes geht er durch die Straßen Aachens zu seiner WG. »Die Stadt wurde im Oktober 1944 als erste deutsche von den westlichen Alliierten befreit«, sagt er. Doch ein halbes Jahr später, kurz vor Kriegsende, ermordeten Himmlers »Werwolf«-Milizen den ersten demokratisch gewählten Bürgermeister, Franz Oppenhoff. »Never again!«, rappt Danger Dan auf seinem Album über diese Zeit.
In der WG angekommen, ist nur einer seiner (allesamt musizierenden) Mitbewohner zu Hause, es herrscht Stille. Hier wüssten zwar alle von seinem rappenden Alter ego Danger Dan, doch binde er es nicht jedem gleich auf die Nase. Denn er wolle nicht von vornherein mit den üblichen Klischees in Verbindung gebracht werden. Etwas unwohl sei ihm dabei, nun öffentlich als Rapper in Erscheinung zu treten. Daher eben auch der Titel seines Debüts: »Coming Out«.
Dabei wartet Danger alles andere als mit dem üblichen Nonsens auf. Neben etwas Unterhaltung gibt es bei ihm reichlich Gesellschaftskritik und mit dem Song »Sommerlüge« erstmals im deutschen Hip-Hop eine Auseinandersetzung mit Holocaust und Antisemitismus. »Ich frage mich«, sagt Danger, der jede seiner Aussagen sorgfältig abzuwägen scheint, »warum es in rund 20 Jahren deutschsprachigen Raps noch keinen Song dazu gegeben hat.«
Deutschland, 60 Jahre danach, ein Land lacht / währenddessen macht ein Mann mit Handgranaten einen Anschlag / und deutsche Holocaustleugner solidarisier’n sich / mit Bombengürtelkids im Irak und in Palästina / Deutschland, eine Sommerlüge, Deutschland, der Untergang / Deutschland, eine Schweigeminute wird zu 100 Jahr’n / Deutschland kann sich nicht erinnern, Deutschland weiß nichts / doch ein Problem löst sich nicht, nur weil du es vergisst.
»Sommerlüge«
Schon mehrere Tausend Mal wurde sein Album runtergeladen. Im Vergleich zu anderen Rap-Veröffentlichungen sei das wenig, sagt er. Doch die Internetgemeinde diskutiert seine Songs heiß, besonders »Sommerlüge« und »Gesiebte Luft«. Die Kommentare reichen von plumpen Sprüchen über inhaltliche Fragen bis hin zu Respektbekundungen.
Anfang der 90er-Jahre, als Brand- und Mordanschläge von Neonazis Schlagzeilen machten, gab es zwar zahlreiche gerappte Lippenbekenntnisse gegen Rassismus und Faschismus. Die mediale Aufmerksamkeit aber wurde der Stuttgarter Rap-Band »Die Fantastischen Vier« zuteil, die in ihren Texten betont unpolitisch auf Spaß setzte. Das Erfolgsrezept ging auf. Nicht jedoch für die Musiker, die, häufig mit Migrationshintergrund, bis dato die Entwicklung des Hip-Hop in Deutschland vorangetrieben hatten. Sie rückten erst mit Beginn des neuen Jahrtausends wieder stärker ins Rampenlicht. Zuletzt prägten das öffentliche Bild jedoch vor allem sexistische, homophobe, gewaltverherrlichende und rassistische Rapper.
Zurzeit deutet sich allerdings erneut ein Wandel an. Wieder hin zu mehr Originalität, Humor und Themenvielfalt. In den USA, wo Hip-Hop in den 70ern in der New Yorker Bronx von der afroamerikanischen und hispanischen Jugend entwickelt wurde, schuf 1998 der weiße jüdische Rapper Remedy mit »Never Again« einen Song, der sich erstmals ausdrücklich mit dem Holocaust auseinandersetzte und viel Beachtung fand, wenn auch überwiegend außerhalb der Hip-Hop-Community.
Die Frage zu beantworten, warum er »Sommerlüge« gemacht habe, scheint Danger Dan geradezu müßig zu sein. »Weil es einfach richtig« sei, sagt er knapp. Er begreife sich eben als Nachgeborener einer Tätergeneration. Deshalb habe er sich mit dem Dritten Reich auseinandergesetzt. Ohnehin hätten ihn seine Eltern, die wie er pädagogisch arbeiten und sich zum Teil sogar akademisch mit Antisemitismus be- schäftigen, von klein auf an die Geschichte herangeführt. »Das ist gerade mal 60 Jahre her, und klar, ich werde immer wieder damit konfrontiert.«
Selbst Danger, der sich der Vergangenheit seiner Vorfahren stellt, scheint es nicht immer leicht zu fallen, das Unsägliche, den Holocaust, beim Namen zu nennen. Er hält kurz inne, fährt dann fort, sichtlich unangenehm berührt: »Ich arbeite mit Kindern, unter denen ›Jude‹ ein geläufiges Schimpfwort ist. Die wissen gar nicht, was sie da eigentlich sagen, und man kann ihnen ja auch schwerlich Antisemitismus vorwerfen, da sie den selbst nicht verstehen würden.« Sie seien eben noch Kinder. »Aber Kinder, die eines Tages erwachsen sind und große Scheiße bauen können.«
Sie ist 80 Jahre alt und sie wohnt im Altenzentrum / du erkennst sie an der Barcodierung auf dem Handgelenk / und ihre Mitbewohner ham seit cirka 60 Jahren Alzheimer / denken, dass sie alles schon vergessen haben / Sie bekommt selten Besuch, die Verwandten sind schon tot / länger noch als die Verwandten der Leute, die mit ihr wohn’ / und sie denkt oft daran, dass sie damals ne Schwester hatte / ihr Zimmernachbar denkt an seinen schwarzen Ledermantel.
»Sommerlüge«
Mit seiner antirassistischen Haltung zählt Danger Dan in der deutschen Hip-Hop-Szene heute zu den Ausnahmen. Doch gibt er zu bedenken: »Ich würde von mir gar nicht behaupten, noch so tief in dieser ›Szene‹ zu stecken, weil ich immer auch schon andere Musik gemacht habe.« Außerdem gäbe es doch verschiedene Hip-Hop-Szenen, sagt er. Aber in dieser Mainstream-Hip-Hop-Szene wird Antisemitismus immer salonfähiger. »Wenn ich mich als Teil so einer Szene sehe, dann fühle ich mich sehr unwohl.« Auch deshalb: »Coming Out«.
»Aber ich glaube nicht, dass die Hip-Hop-Szene das Problem ist. Schon immer war Lyrik nur ein Spiegel dessen, was in der Gesellschaft passiert.« Der erfolgreichste Poet dieser Zeit in Deutschland sei wahrscheinlich Bushido, der Inbegriff der »bösen Hip-Hopper«. Für Danger Dan ist auch er ein Spiegelbild der Gesellschaft.
Sie hält es hier nicht aus / sie ballt die Faust, überhört die Jugendlichen auf dem Schulhof / wie sie wieder lachen über Judenwitze / setzt sich auf den Sessel, legt den Kopf in die Hände / und versucht zu verdrängen ... Never again!
»Sommerlüge«
Danger Dan tritt als Rapper nicht nur solo auf. Mit seinem Bruder Tobias, alias Panik Panzer, und drei Freunden gründete er vor drei Jahren die »vielleicht einzige unpeinliche Rapcrew weltweit«, die »Anti-Alles-Aktion«. Am Rande der Aachener Altstadt hat sich die Gruppe ein Studio eingerichtet: den nur mit dem Nötigsten ausgestatteten »Geheimen Raum«.
Humor ist Danger Dan wichtig. Davon zeugen, wo es passt, seine Rap-Texte und Liveshows. Im Gegensatz zu anderen Rappern verzichtet er auf der Bühne auf einen DJ und auf die für den Rap typischen Drums. Allein mit Stimme und Klavier unterhält er sein Publikum. »Eigentlich ist das schon gar kein Rap mehr«, findet er, »eher Kabarett.« Zwischen den Songs macht er Witze, zurzeit hat er es vor allem auf die NPD abgesehen. Wenn das Publikum, wie zuletzt im Aachener Jakobshof, vor Lachen anfängt zu grölen, dann ist Danger Dan zufrieden.
www.myspace.com/dubistdanger