von Christian Buckard
Der Titel weckt Erwartungen: Best-selling Jewish Porn Films. Erst wenn man den gelben, mit zahllosen eiförmigen Blasen verzierten Umschlag des Buchs genauer betrachtet, sieht man, dass es sich nicht um Erotik handelt, sondern um Gedichte, New Poems von Wayne Koestenbaum. Schaut man noch etwas genauer hin, entdeckt man einen weiteren Namen auf dem Umschlag: »Harpo Marx«. Harpo war der Stumme unter den legendären Marx-Brothers. Koestenbaum, der New Yorker Poet, Essayist, Romancier und Professor für englische Sprache ist im Gegensatz zu ihm um Worte nie verlegen.
»Es stört Sie doch sicher nicht, wenn ich meine Sonnenbrille aufsetze?« Koestenbaum zieht eine Sonnenbrille mit elfenbeinfarbenem Kunststoffgestell aus der Umhängetasche. »Ich falle gern auf«, sagt er mit einem entschuldigenden Lächeln. Nach wenigen Minuten wird die Brille wieder weggelegt und gegen eine andere, nicht weniger auffällige, eingetauscht. »Das treibt meinen Freund regelmäßig in den Wahnsinn, aber ich habe nun einmal das Bedürfnis, meine Brillen immer wieder zu wechseln.«
Das Gedicht Best-selling Jewish Porn Films ist eine Aneinanderreihung von Pornofilmtiteln: »Jewish Gold / Jews Between Themselves / Wet Jew Stories / Jewish Socks / Jewish Sex Scandal / Jewish Fraternity Gang Bang / Big Jewish Daddy / Everybody wants my Jewish Dick ...«. Drei Seiten lang geht das so. Es ist Wayne Koestenbaums persönliche Meditation über die Frage, was die Wörter »Jew« und »Jewish« eigentlich bedeuten. Zumindest in seinem Gedicht ist die Antwort klar: Die Worte werden dort durch schweißtreibende Wiederholung in absurdem Kontext gnadenlos sinnentleert. Und gleichzeitig ist das Gedicht so etwas wie das Coming-out des Schriftstellers Koestenbaum. »Mit diesem Buch habe ich mein Jüdischsein, meine Zugehörigkeit, zum ersten Mal thematisiert. Davor hatte es mich überhaupt nicht interessiert.«
Was hat ihn stattdessen interessiert? Zum Beispiel die Oper. Koestenbaums Essay Königin der Nacht. Oper, Homosexualität und Begehren wurde von Susan Sontag als »brillantes« und »ekstatisches« Buch gefeiert, vom Spiegel als »Kultbuch« bejubelt. Noch bemerkenswerter ist vielleicht Koestenbaums Biografie über Jackie Kennedy-Onassis, denn ein so interessantes wie unterhaltsames Buch über ein eigentlich nichtiges Thema zu verfassen, ist eine Kunst für sich.
Koestenbaum greift wieder zur Sonnenbrille und grinst. »Das ist meine Spezialität. Ich liebe es, aus nichts etwas zu erschaffen. Es ist wichtig, das Nichts zu interpretieren.« Er zögert. »Aber für mich ist Jackie eigentlich kein Nichts. Eher ist sie ein bedeutungsloses Idol. Sie wird geliebt und war doch historisch betrachtet völlig unnütz. Das deutsche Äquivalent zu Jackie wäre Knut, euer Eisbär.«
Den Berliner Knutrummel hatte Koestenbaum im Mai hautnah miterlebt, als er die Geburtsstadt seines Vaters zum ersten Mal besuchte. Der spätere Philosophieprofessor Peter Koestenbaum war 1937 mit seinen Eltern von Berlin nach Caracas geflüchtet. »Von meinem Vater habe ich wahrscheinlich meine philosophischen Neigungen«, erzählt der Sohn. Das Judentum hingegen habe in der Familie des 1958 geborenen Schriftstellers keine wichtige Rolle gespielt. »Ich bin ohne jüdische Tradition aufgewachsen. Meine Mutter bestand darauf, dass wir Weihnachten feiern, dass wir Kinder nicht anders als unsere Umwelt aufwuchsen. Chanukka mochte ich sowieso nicht sehr, Pessach schon eher. Das Essen schmeckte mir.« Etwas verlegen fügt er hinzu: »Es ist wirklich keine schöne Geschichte, aber mit den anderen Kindern in der Hebrew School konnte ich nie etwas anfangen. Ich habe mich mit denen einfach nicht identifizieren können. Ich hatte auch keine jüdischen Freunde.« Immerhin lautet Koestenbaums zweiter Name Elia. »Nach dem Regisseur Elia Kazan. Der Name kommt also nicht aus der Bibel, sondern aus dem Film Endstation Sehnsucht.«
Bevor Koestenbaum mit 26 Jahren zum ersten Mal nach Europa fuhr, schärfte ihm sein Großvater mütterlicherseits ein, er solle in Venedig den Rabbiner aufsuchen. Doch der Enkel schüttelte nur verständnislos den Kopf. Nicht der Rabbi interessierte ihn, er wollte wissen, wo sich die Gay-Bars von Venedig befinden. Doch als er dann nach Europa kam, ergriff ihn völlig unvorbereitet das Gefühl, Jude zu sein. Er interessierte sich auf einmal für jüdisches Leben in Europa. Wo wohnten die Juden? Wie hatten sie früher gelebt? Hätte er hier, in Europa, als Jude leben können? In New York war ihm die jüdische Herkunft banale Nebensache, doch in Europa drängte sie sich fast auf.
Dieses Mal ist der Schriftsteller mit zwei Pässen im Gepäck nach Europa gereist: Er hat den alten deutschen Pass der Tante seines Vaters mitgenommen, in den die Nazis den Zweitnamen Sarah hatten eintragen lassen. Hätte man ihn nicht offiziell eingeladen, wäre Koestenbaum nie nach Deutschland gekommen, auch wenn er darüber nachdenkt, einen deutschen Pass zu beantragen. Als er seinem Vater von dieser Idee erzählte, brummte dieser nur: »Wenn du’s tust, dann bitte nicht, solange ich noch am Leben bin!«
Das »neue« Berlin interessiert Koestenbaum nur sekundär. Ihn faszinieren vielmehr die Spuren des Vergangenen. Zwar beeindruckt ihn das Stelenfeld des Holocaust-Mahnmals als Kunstwerk, doch musste er unwillkürlich denken: »Da ist er wieder, der deutsche Traum. Juden sind in Beton, in das Gegenteil des Menschlichen verwandelt.« Und obwohl den Dichter auch das Jüdische Museum fasziniert, so kommt er nicht umhin, dort auch an den Plan der Nazis zu denken, ein »Jüdisches Museum« in Prag zu errichten. Was ihn hingegen wirklich bewegt, das sind authentische Orte, wie etwa das Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt.
Und das schwule Berlin natürlich. Koestenbaum suchte es in der Gegend um den Nollendorfplatz. Doch was er fand, waren vor allem Buchantiquariate, in denen er sogleich die Gesamtausgabe von Franz Kafka und Werke von Robert Walser erstand. »Das macht mich glücklich, dass es im ›schwulen‹ Teil der Stadt Buchläden gibt. In New York wäre das unmöglich. Das passt da einfach nicht zusammen: Schwule und Bücher.« Schlechte Aussichten für Best-selling Jewish Porn Films.