von Sue Fishkoff In einem lauten Café in Manhatten über seinen Espresso gebeugt, erzählt Ariel Beery über »PresenTense«, eine neue jüdische Zeitschrift, die er gegründet hat. »Sie ist ein Ideenmarkt für alle Richtungen des Judentums«, erläutert er. Alle Artikel, Aufsätze, Gedichte und die Kunst in dem 48seitigen Hochglanzmagazin, das Ende Oktober auf den Markt kam, stammen von jun- gen freiwilligen Mitarbeitern auf der ganzen Welt. Er selbst schreibe kein Wort, sagt der 26jährige, sondern widme sich ausschließlich der Aufgabe, anderen eine Möglichkeit des Ausdrucks zu verschaffen. Ein gewagter Schritt für eine neue Zeitschrift, die nicht von irgendeiner Stiftung gesponsert wird, sondern von Anzeigen, Abonnements und dem Kioskverkauf abhängig ist. Doch das gehört zur Ästhetik dieser neuen, rasch wachsenden Reihe jüdischer Publikationen, die sich an Leute zwischen 20 und 30 richten. Es gibt ein halbes Dutzend Print-Magazine und wesentlich mehr Online-Zeitschriften, die alle noch keine fünf Jahre alt sind und für sich mit der Idee werben, junge Leute anzusprechen. »Jede Generation amerikanischer Juden bringt Publikationen hervor, die die Realität ihres Lebens widerspiegeln«, sagt Sam Freedman, Professor für Journalistik an der Columbia University, der die rasante Vermehrung jüdischer Medien mit dem Erscheinen des »Jewish Daily Forward« vor hundert Jahren und mit den alternativen Zeitschriften der 60er Jahre vergleicht. Wie durch diese früheren Publikationen ist durch die neuen jungen, sich an Erwachsene richtenden jüdischen Zeitschriften und Websites eine Gemeinde von Au- toren und Aktivisten entstanden, die einander kennen, gegenseitig ihre Texte lesen und oft füreinander schreiben. Den Kritikern aus der jüdischen Gemeinde, die darüber klagen, wie wenig sich junge Juden engagierten, halten die Vertreter dieser neuen Formen entgegen: »Wir lernen, wir lesen, wir bloggen, wir machen jüdische Musik, wir kämpfen für soziale Gerechtigkeit, wir sind äußerst jüdisch engagiert – nur nicht in euren Organisationen.« Zentrales Thema in den neuen jüdischen Medien ist nicht zuletzt Israel – allerdings nicht in der üblichen Aufmachung. Die neueste Ausgabe von »Zeek«, einem intellektuell gediegenen Journal mit Essays, Kunst und Literatur, enthält die Betrachtungen eines homosexuellen Mannes in Jerusalem, der sich vor kurzem für ein religiöses Leben entschieden hat. Jüdische Werte, vor allem soziale Gerechtigkeit, Nächstenliebe und Umweltengagement sind sehr populäre Themen, ebenso jüdische Geschichte und religiöses Leben. Kultur, Humor und die schönen Künste Literatur, Film und Musik nehmen viel Raum ein: Jon Stewart, Sarah Silverman, der Balkan Beat Box, Borat. Wer immer die jüdische Sache vertritt und dabei an Grenzen rührt, findet Beachtung. Von den jüdischen Mainstream-Medien unterscheiden sie sich durch ihre Bereitschaft, die Welt außerhalb der jüdischen Gemeinschaft hereinzulassen. Sie konzentrieren sich auf Menschen an den Rändern der Gemeinschaft: Homosexuelle, dunkelhäutige Juden, linke Politiker, Mischehen. Und auch Nichtjuden möchten die Blattmacher gern als Leser gewinnen. Der größte Unterschied aber ist vielleicht der, daß sich diese neuen Publikationen nicht als fertige Produkte, sondern als Diskussionsforen begreifen. Sie sponsern Vorträge und andere Veranstaltungen, um Gesprächskreise junger Juden zu organisieren, die ähnlich denken und ein gemeinsames Anliegen haben. Die meisten neuen jüdischen Medienunternehmen sehen die 2002 gegründete »Heeb – New Jew Review« als das erste Magazin, das die Tür aufstieß für eine neue Art von jüdischem Schreiben – clever, sardonisch, informiert, frech und jüdisch stolz. »Das ist unser aller Vorbild«, schwärmt »PresenTense«-Gründer Ariel Beery. »Es ist gut, wenn wir andere inspirieren«, sagt »Heeb«-Redakteur Joshua Neuman. »Aber wir glauben nicht, wir seien der Ursprung jüdischer Publikationen. Genau genommen war Moses der erste Chefredakteur!« Viele folgen »Heeb« auch in seiner Strategie, sich nach außen zu öffnen. Das Magazin feiert Partys und unterstützt Filmfestivals und andere Veranstaltungen im ganzen Land. »Durch ›Heeb‹ entsteht unter den Juden zwischen 18 und 34 eine neue Art von Gemeinde«, sagt Neuman. Auch »PresenTense«, das vor kurzem zusammen mit Studenten des Jewish Theological Seminary der Konservativen Bewegung zu einer Diskussionsveranstaltung über »Juden und Geld« einlud, plant, in der Region New York drei Foren zu etablieren, die monatliche Gesprächsveranstaltungen organisieren zu Themen, die im Magazin besprochen wurden. Benyamin Cohen, Gründer des Online-Magazins www.jewsweek.com und derzeit Redakteur von »American Jewish Life«, einer Zeitschrift mit Sitz in Atlanta, meint zwar, daß die Lektüre von »Heeb« Spaß mache, aber es halte nicht lange an und sei letzten Endes sehr unbefriedigend. Jüdische Publikationen sollen höhere Ziele haben, findet er. »Die Leute tragen T-Shirts mit ironischen Sprüchen, aber was geschieht danach? Besuchen sie alle einen Kurs in der Synagoge? Schicken sie ihre Kinder in ein jüdisches Ferienlager?« Laurel Snyder, FaithHacker-Bloggerin und ehemalige Hillel-Direktorin, pflichtet ihm bei: »Wir müssen den Menschen zeigen, was am Judentum wirklich bedeutungsvoll und schön ist – religiös, historisch und kulturell. Sonst besteht die Ge- fahr, daß das einzige, was ein Leser aus seiner Lektüre der Publikation mitnimmt, die Empfindung ist, daß jüdische Tattoos einfach cool sind.«
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