von Irena Samveli
»Dies ist eine Revolution des Gesangs und des Tanzes!«, ruft Oppositionsführer Lewon Ter-Petrosjan seinen jubelnden Anhängern zu. Musik setzt ein auf dem Platz der Freiheit in der armenischen Hauptstadt Jerewan, und Ter-Petrosjan vollführt einen jüdischen Tanz. Einige Tage liegt die Präsiden- tenwahl in dem kleinen südkaukasischen Land zurück, deren Ergebnis er und seine Anhänger nicht anerkennen. Unter dem grauen Himmel schwingen zwei Nationalflaggen: die armenische und die israelische.
Offiziellen Zahlen zufolge siegte bei der Wahl am 19. Februar der amtierende Premier Sersch Sarkissjan mit rund 53 Prozent der Stimmen. Levon Ter-Petrosjan erhielt nur 21,5 Prozent. Aber er schaffte es, die Bevölkerung zu mobilisieren. Zehntausende Menschen gingen auf die Straßen Jerewans und forderten Neuwahlen.
»Wessen Idee es war, bei dieser Aktion die Flagge eines anderen Staates mitschwingen zu lassen, ist mir ein Rätsel«, empört sich die Leiterin der jüdischen Gemeinde in Armenien, Rima Varzhapetyan. Es sei eine reine Provokation, mit der »Volkstänzer« Ter-Petrosjan der Welt habe zeigen wollen, dass seine Proteste durch Israel und die jüdische Gemeinde unterstützt werden.
Vor zehn Jahren musste Ter-Petrosjan, damals Präsident Armeniens, wegen seiner unpopulären Außenpolitik und Korruptionsvorwürfen zurücktreten. »Seine Rückkehr auf die politische Arena war ein großer Fehler«, findet Rima Varzhapetjan. »Er sollte sich für die Unruhen, die er ausgelöst hat, entschuldigen, anstatt sich unter Hausarrest in Sicherheit zu wiegen. Er sollte die Schuld auf sich nehmen und die Bürger vor Tod und Verletzungen schützen.«
Denn die armenische »Revolution des Gesangs und des Tanzes« hatte sich bald in eine blutige Auseinandersetzung verwandelt, bei der acht Menschen getötet und 131 schwer verletzt wurden. Die Regierung ließ Demonstrationen der Oppositionsanhänger gewaltsam auflösen. Am 1. März verhängte der scheidende Präsident Armeniens, Robert Kotscharian, für 20 Tage den Ausnahmezustand. Nun wartet die armenische Bevölkerung auf das zweite Gutachten der OSZE zur Wahl. Im ersten hieß es, trotz der Unregelmäßigkeiten hätte die Wahl internationalen Standards entsprochen.
Die Leiterin der jüdischen Gemeinde glaubt, beide Kandidaten hätten das Wahlergebnis gefälscht. Die Mehrheit der Armenier aber habe für Sersch Sarkissjan gestimmt. Deshalb hat die jüdische Gemeinde ihm inzwischen ein Gratulationsschreiben geschickt. Die Massenproteste führt Varzhapetjan auf die soziale Lage der Bevölkerung zurück. Die Kluft zwischen Armen und Reichen werde immer größer, auch wenn sich in der Vergangenheit vieles verbessert habe. »Die Menschen wollen globale Veränderungen, nicht Lewon Ter-Petrosjan.«
Mit Blick auf die Demokratisierung des Landes sei in den vergangenen Jahren ein deutlicher Fortschritt zu spüren, so Varzhapetjan. Die armenische Republik genieße heute international ein besseres Ansehen als noch Mitte der 90er-Jahre. »Auch uns Juden geht es viel besser«, sagt die Gemeindeleiterin.
Im 18. Jahrhundert kamen zahlreiche jüdische Flüchtlinge, die in Russland von der orthodoxen Kirche als Ungläubige verfolgt wurden, nach Armenien. Heute leben etwa 900 Juden in dem südkaukasischen Land. Die jüdische Gemeinde ist seit 1991 offiziell anerkannt, es gibt jüdische Kulturzentren und Schulen.
»Wir haben uns immer als Teil der armenischen Gesellschaft und Nation gefühlt«, sagt Rima Varzhapetian, die sich im Moment in Georgien aufhält. »Wir hoffen, dass wir am 21. März Purim feiern können und das tägliche Leben bald wieder seinen normalen Lauf nimmt.«