Jedes Jahr am Sederabend stellt der Jüngste am Tisch dieselbe Frage: Warum? Was ist der Grund für den besonderen Ablauf dieses Abends, an dem wir uns an den Auszug unserer Vorväter aus der Knechtschaft in Ägypten erinnern? Und was bedeutet uns dieser Abend heute? Es ist ein Stück Tradition, das wir pflegen – so wie das gesamte jüdische Jahr von der Erinnerung an unsere weit über fünftausendjährige Geschichte geprägt ist.
Gleichzeitig ist in jedem Gedenken aber auch ein Stück Gegenwart. In diesem Jahr feiern wir das 60-jährige Bestehen des Staates Israel. So, wie unsere Vorväter aus Ägypten in das ihnen versprochene Land kamen, das dann ihr eigenes sein sollte, haben wir heute Israel als den Staat, der uns allen ein Zuhause bietet. Israel ist nicht nur die Heimat derer, die dort wohnen. Das kleine Land ist uns allen, die wir im Galud leben, eine Rückversicherung, um nicht mehr in die Sklaverei, die Tyrannei derer zu fallen, die uns bestenfalls mit Unverständnis über Intoleranz bis hin zur angedrohten Vernichtung begegnen. Bereits in der Nacht der Staatsproklamation 1948 erklärten die Nachbarn dem kleinen Land den Krieg. Bis heute muss es sich gegen seine Feinde verteidigen. Es gibt Erez Israel.
Und darüber sind wir glücklich und dankbar. Wenn wir am Sederabend in einer langen Folge die Guttaten G‹ttes preisen, wissen wir jedoch auch um unsere Verantwortung für den Erhalt des Positiven. »Und hättest Du uns nur dieses gegeben, es wäre schon genug ...«, lautet der sich immer wiederholende Refrain. Uns, die wir heute leben, hat Er den Staat Israel gegeben. Er hat uns in München ein Gemeindezentrum aufbauen lassen, das sich mehr und mehr mit Leben füllt und auf diese Weise mit dazu beiträgt, unsere gleichberechtigte Existenz als Münchner Bürger selbstbewusst zu unterstreichen. Dankbar sein wollen wir auch für die Tatsache, dass wir mit Angela Merkel eine Bundeskanzlerin an der Spitze Deutschlands haben, für die das Existenzrecht Israels nicht verhandelbar ist.
Angesichts der beständigen Drohungen von Hamas und Ahmadinedschad darf eine solche Haltung nicht unterschätzt und relativiert werden. Wir sollten dankbar sein auch für die Möglichkeit, dass die Juden in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion die Möglichkeit zur Auswanderung hatten. Für sie ist das dem Auszug aus Ägypten ähnlich. Für uns bedeutet es eine Bereicherung unseres jüdischen Lebens in Deutschland – und das keineswegs nur zahlenmäßig. Wir dürfen auch dankbar sein für den Beitrag, den sie zum Beispiel kulturell in unserer Gemeinde leisten. Wir müssen aber weiterhin unsere Verantwortung für unsere Freiheit und gegen antisemitische und antiisraelische Strömungen wahrnehmen.
Nur wenn wir unseren Traditionen und unserer religiösen Identität treu bleiben, wird sich auch der Pessachwunsch erfüllen »L‹schana aba be Jeruschalajim« – »Nächstes Jahr in Jerusalem«. Denn dabei geht es nicht nur um den uns inzwischen wieder jederzeit möglichen Besuch der Stadt. Es geht auch um den Frieden für Erez Israel, das uns Sicherheit schenkt, wenn wir im Galud ihm Solidarität zeigen. In diesem Sinne wünsche ich Erez Israel und uns allen diesen Frieden und Chag Pessach Sameach!
Grußwort