von Christian Buckard
Der israelische Schriftsteller Yoram Kaniuk hat einmal gesagt: »Ich glaube nicht, dass der Holocaust eine Art Universität ist, die uns Israelis gutes Benehmen lehren muss.« Was die Schoa ebenfalls nicht ist: Der ursächliche Grund für die Existenz des Staates Israel. Auf der Eröffnungsveranstaltung der internationalen Fachkonferenz »1938 – 1948 – 2008: History und Memory after the Holocaust« vergangene Woche in Berlin betonte dies einmal mehr Avi Primor, in den Jahren 1993 bis 1999 israelischer Botschafter in Deutschland. Doch, »dass der Holocaust die Unabhängigkeit des Staates Israel beschleunigt hat«, ja, das stimme.
Primors Vortrag war einer der Höhepunkte der mehrtägigen Tagung im Vorfeld des 70. Jahrestages der Reichspogromnacht und vor dem Hintergrund des
60. Jahrestages der Staatsgründung Israels. Initiiert und konzipiert hatte die Tagung die Judaistin und Rabbinerin Eveline Goodman-Thau, die vor zehn Jahren die Hermann-Cohen-Akademie in Buchen (Odenwald) gründete und sie bis heute leitet.
Auf der Tagung, einer Kooperationsveranstaltung der Hermann-Cohen-Akademie und der Konrad-Adenauer-Stiftung, sprachen unter anderen der Frankfurter Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik über »Ende und Neuanfang des deutschen Judentums«, der Berliner Journalist und Schriftsteller Gernot Wolfram über »Paul Celans Auseinandersetzung mit dem Zionismus«, die in Australien lehrende israelische Historikerin Fania Oz-Salzberger über »Berlin in der neueren israelischen Literatur« und die Konstanzer Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann über die »Ausdehnung der Holocaust-Erinnerung und ihre Grenzen«.
Der bemerkenswerteste Moment der gesamten Tagung war allerdings die Vorstellung der von Goodman-Thau angeregten Hebraic University of Europe Graduate School (HUE). Anscheinend im Zusammenhang mit dem 70. Jahrestag der Pogromnacht hat sich der Bundestag dazu entschlossen, die Gründung der Hochschule zu fördern. Dass dies mit der Zustimmung aller Fraktionen geschah, ist erstaunlich. »Ich kann mich nicht erinnern«, bemerkte Micha Brumlik, »dass akademische Neugründungen jemals in Entschließungen des Deutschen Bundestages vorgekommen sind.« Schließlich seien sie in einem föderalistischen Staat Länderangelegenheit.«
Worin genau der Unterschied zwischen der zu gründenden »Hebräischen Universität in Europa« und den bereits mancherorts bestehenden Hochschuleinrichtungen für Jüdische Studien liegen soll, wurde im Rahmen der Tagung zwar noch nicht differenziert dargelegt, aber es geht Goodman-Thau und ihren zahlreichen Mitstreitern im Kern um die Beschäftigung mit dem jüdischen Erbe Europas und dem europäischen Erbe Israels. Um einen Ort europäisch-israelischer Zusammenarbeit, in dem eine zeitgemäße europäische Identität im Spannungsfeld zwischen Moderne und Tradition – auch unter der Berücksichtigung des islamisch-europäischen Erbes – angedacht werden soll.
Die Initiatoren hoffen, dass Europas Hebraic University eine politische Dimension haben wird, indem sie das Modell der offenen Gesellschaft verteidigt und sich gegen jede Art von Fundamentalismus wendet.
Der Aufbau der Universität soll in mehreren Schritten erfolgen. Die Geisteswissenschaften werden den Anfang machen, in einem späteren Stadium kommen auch Fächer wie Wirtschaftswissenschaften
hinzu.
Nach Vorstellung der Initiatoren soll die Hochschule enge Beziehungen zu israelischen Universitäten unterhalten und ihren Studenten den Magister- und Promotionsabschluss ermöglichen. Und ihre internationale Ausrichtung soll sich in der Zusammensetzung des Lehrkörpers und der Studentenschaft widerspiegeln.
Dass ausgerechnet Berlin ein geeigneter Ort für diese Hebräische Universität sei, davon ist Goodman-Thau überzeugt: »Ich glaube, dass Deutschland im geistigen Sinne für Europa eine wichtige Rolle zu spielen hat. Es wäre sozusagen eine Art ›geistiges Erwachsenwerden‹, dass man in Deutschland sagt: ›Wir sind diejenigen, die an der Tradition gescheitert sind, aber wir sind jetzt auch diejenigen, die dieses Scheitern verstehen.‹«
Das Vorhaben, für dessen faktische und institutionelle Verankerung es unter realpolitischen Gesichtspunkten nur ein winziges Zeitfenster gab, ist äußerst groß. Dass es gelungen ist, diese Möglichkeit zu nutzen, lässt hoffen. Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Jahrestage.