Zentrum gegen Vertreibungen

Bund der Durchtriebenen

von Micha Brumlik

Das von Erika Steinbach, der Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV), und ihren Mitstreitern betriebene Projekt eines »Zentrums gegen Vertreibungen« tritt auf der Stelle. Und es wird jenseits des BdV von niemandem mehr gewollt: weder von den Kirchen noch von den außenpolitischen Eliten des Landes. Das liegt keineswegs am Thema selbst, sondern an der weltanschaulichen Unbelehrbarkeit, mit der das Projekt vorangetrieben wird.
Leicht könnte man sich darauf verständigen, daß nach dem »Jahrhundert der Extreme« die traurige, umfassende Bilanz dieses Zeitalters gezogen wird. Daß dabei die Vertreibungsverbrechen, die seit dem Genozid der Jungtürken an den Armeniern über die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten 1944/45 bis hin zu den »ethnischen Säuberungen« im zerfallenden Jugoslawien dokumentiert werden sollen, ist ebenso unstrittig wie die Tatsache, daß die deutschen Opfer des Zweiten Weltkrieges einen Anspruch auf respektvolles Gedenken haben. Dem dient die seinerzeit von Ignatz Bubis mit eingeweihte zentrale Gedenkstätte »Neue Wache« in Berlin.
Was das Projekt in seiner gegenwärtigen Konzeption so prekär macht, ist seine Kontinuität zur Politik des Bundes der Vertriebenen seit den fünfziger Jahren, mit der es trotz einer oberflächlichen menschenrechtlichen Modernisierung nie grundsätzlich gebrochen hat. Würden Zentrum und BdV die bis heute zu Unrecht gefeierte Charta aus dem Jahre 1950 außer Kraft setzen und ins Archiv nehmen – die Lage sähe anders aus. Die von den Funktionären der Heimatvertriebenen und mit ihnen sympathisierenden Politikern immer wieder ob ihrer Versöhnlichkeit gepriesene Charta stellt in Wahrheit eine Ungeheuerlichkeit dar, den Inbegriff all dessen, was jemals als »Unfähigkeit zu trauern« gelten konnte.
Schon das zentrale Bekenntnis »Wir verzichten auf Rache und Vergeltung« entpuppt sich bei genauer Lektüre als ein Satz, der dem Geist der beschworenen christlichen Kultur widerspricht: Kann es ein natürliches Recht auf Rache geben? Wird nicht im vermeintlich großzügigen Verzicht ein grundsätzlicher Anspruch auf Rache und Vergeltung geradezu beglaubigt? Zudem zeugte es sogar 1950 von Geschichtsblindheit, die Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges nicht einmal erwähnt zu haben. Eine Blindheit, die Methode hat. Waren es doch weder die in der »Charta« so beliebten »Völker« noch deren Regimes oder Regierungen, die letztlich für das Schicksal der deutschen Flüchtlinge und Heimatvertriebenen verantwortlich waren. Kein Deutscher wäre aus dem Böhmerwald verjagt, keine Familie hätte Ostpreußen verlassen müssen, hätte das nationalsozialistische Deutschland nicht die Tschechoslowakei, Polen und die Sowjetunion überfallen.
Freilich stellen die unbeholfenen Verzichtsfloskeln nur Petitessen dar, wenn man sie mit den abschließenden Sätzen der Charta vergleicht. Man muß sich schon fragen, in welcher Welt die Autoren 1950 lebten. »Die Völker der Welt sollen«, so heißt es dort, »ihre Mitverantwortung am Schicksal der Heimatvertriebenen als der vom Leid dieser Zeit am schwersten Betroffenen empfinden.« Man muß diesen Satz zweimal lesen, um seine Ungeheuerlichkeit ganz zu erfassen. Hier wird allen Ernstes behauptet, daß unter allen Opfern der Zeit des Zweiten Weltkriegs die Heimatvertriebenen am schwersten betroffen waren. Also nicht die Toten und Überlebenden des Bombenkriegs über den deutschen Städten, nicht die Hunderttausende deutscher Kriegswaisen und -witwen, nicht die drangsalierten und umgebrachten Millionen Polen oder Russen, schon gar nicht die sechs Millionen ermordeten Juden, deren Schicksal 1950 weitgehend bekannt war.
Das in der aktuellen Gedenkpolitik wieder heftig debattierte Thema einer Konkurrenz der Opfer hat hier und nirgendwo anders seinen Ausgangspunkt. Diese Sätze zeugen von einer Verantwortungslosigkeit, die bis heute anhält und auch nicht mit dem menschenrechtlich modernisierten, scheinbar universalistischen Projekt des »Zentrums gegen Vertreibungen« überwunden wird. Die Charta der Heimatvertriebenen hatte die Unterscheidung von Opfern eines Genozids und Opfern von Vertreibung und Ausweisung von Anfang an eingeebnet. Davon unterscheiden sich die Pläne des »Zentrums« nur darin, daß jetzt die Einzigartigkeit der Schoa zwar verbal beglaubigt wird, das »Zentrum« jedoch mit der Wahl seines historischen Beispiels – der mit Vertreibungen beginnende Genozid an den Armeniern durch die Jungtürken – mit dem Gedanken spielt, auch die Deutschen seien Opfer eines Völkermords geworden. Auch der vom »Zentrum« ausgelobte »Franz-Werfel-Menschenrechtspreis« legt sicher ganz bewußt eine Parallele zwischen dem Genozid an den Armeniern und der Vertreibung der Deutschen nahe. So wiederholt sich im Gewand einer moderat daherkommenden und gesellschaftlich akzeptierten Wortwahl die Politik des Bundes der Vertriebenen aus den fünfziger Jahren.
Die etwa zwei Millionen Deutschen, mehrheitlich Alte, Frauen und Kinder, die als unmittelbare Folge von Flucht und Vertreibung ihr Leben verloren, haben einen Anspruch auf unser Gedenken. Diesen Anspruch durchkreuzt, wer – wie die Initiatoren des Zentrums – am Ziel einer nationalen Gedenkeinrichtung festhält, die das Ge- denken an die ermordeten Juden imitiert.

Riesa

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