von Ludger Heid
An ihm haben sich die Gemüter seiner Zeitgenossen erhitzt. Ludwig Bamberger hielt ihn für das Gegenstück zu Heine: »Dort das maliziöse und frivole genießende Weltkind, hier der von etwas unweltlichem Optimismus angehauchte, ernste, in der Askese stehende Idealist.« Hier ist von dem 1829 im Posenschen geborenen »Ostjuden« Eduard Lasker die Rede, Bismarcks ärgstem politischen Widersacher, dem vielleicht wichtigsten Repräsentanten des Liberalismus in der deutschen Parlamentsgeschichte. Friedrich Engels, der die Nationalliberalen insgesamt für »dumm« hielt, machte bei Lasker eine Ausnahme, spöttisch titulierte er ihn als »Gescheitheits-Laskerchen«. Bei Franz Mehring mischte sich gar eine unterschwellig antisemitische Konnotation in die Beurteilung des »Tugendbolds« Lasker, wenn er abschätzig dessen »kauderwälschestes Deutsch« herausstreicht, mit dem dieser den »Moralprediger für alle Welt« spiele.
Wer war dieser Mann? Auf seinem Weg nach Berlin und an die Spitze der liberalen Politik bis zu seinem Tod am 5. Januar 1884 in New York begegneten ihm »ehrenwerte« deutsch-nationale Gestalten, die den Juristen und Politiker als »Fremdling« und »Nationalunglück« diffamierten. 1876 hieß es über ihn in der nationalen Presse: »Kommt da der Mann aus dem Osten, Herr Eduard Lasker, und hält uns lange, lange Monologe darüber, dass er noch nie silberne Löffel gestohlen und Prospekte gefälscht habe, und wir dummen, ehrlichen Germanen fallen vor dem Fremdling aus dem Osten in die Knie und beten ihn an wie den Messias des neunzehnten Jahrhunderts.«
Eduard Lasker war ein brillanter Debattierer, ausgestattet mit den Waffen jüdischer Dialektik, ein hervorragender Parlamentarier von ungewöhnlicher Redlichkeit. Er war Mitbegründer der Nationalliberalen Partei, ein ausgesprochener Vertreter bürgerlicher Ideen. Von 1865 an trat er im Preußischen Abgeordnetenhaus als Hauptsprecher für die immer noch nicht erreichte bürgerliche Gleichstellung der Juden ein. Nach der Gründung des Kaiserreichs war der gelernte Jurist an der neuen Gesetzgebung maßgeblich beteiligt und lehnte als Reichstagsabgeordneter die Todesstrafe ebenso scharf ab wie die Bismarckschen Sozialistengesetze.
Lasker geriet insbesondere als Rechtspolitiker immer mehr in Opposition zu Bismarck. Der erkannte in Lasker einen Mann, von dem er sich zunehmend in seinen politischen Absichten bedroht fühlte. Bismarck zahlte es seinem auserkorenen Hauptfeind mit beispiellosen Kränkungen und antisemitischen Anzüglichkeiten heim. Privat sprach er in Bezug auf Lasker als »Semit«. Das Beileidsschreiben des amerikanischen Kongresses zum Tode seines großen liberalen Gegners Eduard Lasker, der während einer USA-Reise gestorben war, hat Bismarck brüsk zurückgewiesen, ja, er weigerte sich, das Kondolenzschreiben des US-Repräsentantenhauses an den Reichstag weiterzuleiten. In einer Rede vor dem Reichstag begründete der Reichskanzler diesen Schritt damit, die Amerikaner hätten nicht gewusst, »wer und was Herr Lasker war«.
Die Losung »Die Juden sind unser Unglück«, die der Historiker Heinrich von Treitschke 1879 in einem berüchtigten Aufsatz in den Preußischen Jahrbüchern in die Welt setzte und womit er den Anstoß zum Berliner Antisemitismusstreit gab, war auf Lasker gemünzt. Lasker, der Israelit aus dem »polnischen Judenstamme«, war für Treitschke ein Mann, der dem »germanischen Wesen ungleich fremder« gegenüberstand als sonst irgendeiner. »Es wird immer Juden geben, die nichts sind als deutsch redende Orientalen«, so klang der moderne Antisemitismus aus dem Munde eines hoch geschätzten, meinungsbildenden Historikers der Berliner Universität und, welche Ironie, Reichstagskollegen und nationalliberalen »Parteifreundes«.
Berühmtheit erlangte Lasker in den Debatten um das Gesetz über den Austritt aus den jüdischen Gemeinden (1876), wo er unter heftigem Widerspruch der großen Mehrheit der Juden aus Gründen der Gewissensfreiheit für die von Samson Raphael Hirsch verfochtenen Rechte der orthodoxen Minderheiten eintrat. Laskers Zusatz- anträge zu dem besagten Gesetzentwurf wurden mit einer fast an Einstimmigkeit grenzenden Mehrheit angenommen. Durch dieses Gesetz wurde das in der Verordnung von 1847 aufgestellte Prinzip des Gemeindezwangs durchbrochen, indem die Möglichkeit geschaffen wurde, aus religiösen Bedenken aus der jüdischen Gemeinde auszutreten, ohne das Judentum zu verlassen.
Lasker führte ein asketisches Leben, das er ausschließlich der Politik widmete. Ohne Familie, ohne Liebhabereien, ohne jeden Sinn für Geldeswert fand er Befriedigung allein in der Arbeit für seine politischen Ziele, die Liberalisierung Deutschlands, die er letztendlich nicht erreichte. Darin lag eine gewisse Tragik im Leben dieses großen Parlamentariers, der seinem Abgeordnetenkollegen und Freund Ludwig Bamberger desillusioniert ins Tagebuch diktiert hatte: »Dieses Volk ist nicht geboren, frei zu sein.«
100.000 Menschen, darunter jüdische wie nichtjüdische Prominenz, sollen nach einer Meldung der »Allgemeinen Zeitung des Judentums« sich dem Leichenzug angeschlossen haben und dem Sarg Laskers gefolgt sein, der in Berlins Neuer Synagoge aufgebahrt wurde. Dort fand eine der imposantesten Trauerveranstaltungen für Angehörige des bürgerlichen Standes statt, die Berlin je gesehen hat. In seiner Trauerrede würdigte Rabbiner Pinkus Fritz Frankl den Verstorbenen als einen Kämpfer für Recht und Freiheit und sagte: »Der Talmud schärfte seinen Verstand.«
Die Frage, wer und was Lasker wirklich war, hat die Schriftstellerin Rosemarie Schuder, die kürzlich ihren 80. Geburtstag feierte (vgl. Jüdische Allgemeine vom 24. Juli), in einer gut lesbaren, ja spannenden Lasker-Biografie beantwortet. Es ist die Würdigung eines der bedeutendsten, inzwischen weitgehend vergessenen liberalen Abgeordneten der deutschen Parlamentsgeschichte, den die Autorin verdientermaßen wieder in das Bewusstsein der Gegenwart rückt. Es ist dies mehr als eine narrative Biografie: ein wissenschaftlich fundiertes Lebensbild, zu dem Hermann Simon ein einfühlsames Geleitwort beigesteuert hat.
rosemarie schuder: der »fremdling aus dem osten«. eduard lasker – jude, liberaler, gegenspieler bismarcks
Verlag für Berlin-Brandenburg,
Berlin 2008, 256 S., 22,95 €