von Eszter Margit
Ein Überfall mit Säure und Fäkalien auf Mitglieder des Budapester Jüdischen Theaters unmittelbar vor Rosch Haschana gibt der Besorgnis über ein Anwachsen des Antisemitismus in Ungarn neue Nahrung.
Der Angriff, der sich nach der Premiere einer provokanten Parodie auf das Pornogewerbe ereignete, wird als erster unverhohlener physischer Angriff gegen Juden seit dem demokratischen Übergang des Landes im Jahr 1989 angesehen.
Am 27. September feierte das Stück »Gecy« im »Sirály«, dem trendy jüdischen Kneipen- und Kultur-Zentrum auf dem Gebiet des ehemaligen Ghettos, Premiere. Am folgenden Tag, nach der zweiten Aufführung, als die Zuschauer zum Theater strömten, tauchten auf der Straße sechs oder sieben Neonazis auf. In einer offensichtlich choreografierten Aktion schoss einer von ihnen Säure aus einer Wasserpistole auf Ferenc Sebo, den Regisseur der Show, dann goss er einen Eimer voller Schweinefäkalien auf ihn. Menschen, die in Sebos Nähe standen, wurden von Säurespritzern getroffen. Die Angreifer schlugen Sebo zusammen, als er sein Glas nach ihnen warf, anschließend liefen sie in die Kneipe und verletzten weitere Menschen mit Säure. Ein Zuschauer, der Sebo helfen wollte, wurde zusammengeschlagen und musste eine Woche im Krankenhaus bleiben. Die Polizei kam zu spät, um die Angreifer festzunehmen.
Der Direktor des Theaters erklärte, alle, die etwas mit der Show zu tun hatten, hätten schon Wochen vor der Premiere Drohungen erhalten. »Websites und Blogs von Extremisten haben in zahlreichen Beiträgen gegen uns gehetzt«, sagt Robert Vajda. »Einige von uns erhielten Drohanrufe, die so schlimm waren, dass der Hauptdarsteller sich eine Woche vor der Premiere entschloss, von seiner Rolle zurückzutreten.« Die Neonazis seien so wütend, weil sie die Bedeutung des Stücks missverstanden hätten, sagt Vajda. Auf YouTube war es provozierenderweise als Porno-Verulkung der »Tragödie des Menschen«, Ungarns Nationalepos von Imre Madách, einem Dramatiker des 19. Jahrhunderts, beworben worden.
»Die Jungs dachten, diesmal hätten sie wirklich was entdeckt: Katzen mordende Juden machen aus einem Juwel des ungarischen Kulturerbes Pornografie!«, so Vajda. »Und die Tatsache, dass die Komödie weder etwas mit Madách noch mit echter Pornografie zu tun hat, hat sie noch mehr erbost!« Laut Adam Schoenberger, einem der Organisatoren des »Sirály«, hatte das Theater für die beiden Nächte Polizeischutz angefordert, doch nur für den Premierenabend erhalten. Die Polizei habe den Organisatoren hinterher erklärt, sie sei informiert worden, dass die Sonntagsaufführung ausfalle, so Schoenberger.
Laut einem Polizeibericht behauptet der Neonazi Tamas Polgar Tomcat auf seinem Blog, als Tierschützer habe er es vor allem auf »Gecy«-Autor Zoltan Toepler abgesehen, dessen preisgekrönter Dokumentarfilm die Tötung eines Kätzchens zeigt. Schoenberger glaubt, das »offizielle« Ziel der Attacke sei möglicherweise der Autor gewesen. Doch da er nicht gleich auffindbar gewesen sei, hätten die Neonazis ihren Hass gegen alle gewendet, die etwas mit Juden zu tun hatten. In einem Kurzfilm, der während und nach der Attacke auf Tomcats Blog verbreitet wurde, gab einer der maskierten Angreifer offen zu, »Rassist« zu sein.
Der Angriff gegen das Theater ist der neueste – und aggressivste – Vorfall in einer Reihe von Ereignissen, die die jüdische Gemeinde veranlasst hat, Alarm zu schlagen. Im Frühjahr eskalierte im jüdischen Viertel der Streit zwischen einem Kunden und dem Angestellten eines Ladens und führte dazu, dass ein Molotowcocktail gegen die Ladenfront geworfen und zu einer Aktion gegen ihn aufgerufen wurde. Am Tag der geplanten Aktion blockierten Tausende von Antifaschisten die Straße. Zu jenen, die gekommen waren, um den Laden zu schützen, gehörte auch Ungarns Premier Ferenc Gyurcsany.
Auf öffentlichen Versammlungen, in den Medien und im Internet komme es immer häufiger zu antisemitischen, rassistischen Verbalattacken, sagt der Präsident der Vereinigung Ungarischer Jüdischer Gemeinden, Peter Feldmajer. Der »Sirály«-Anschlag sei lediglich eine Fortsetzung dieses Trends. Auch wenn der Inhalt des Theaterstücks »fragwürdig« sei, lasse der Inhalt der Blogs keinen Zweifel daran, dass die Angreifer das Hauptproblem darin sahen, dass es von einem jüdischen Theater präsentiert wurde, ist sich Feldmajer sicher.
Der jüdische Blogger und Universitätsdozent Gyorgy Vari meint, im Verlauf der vergangenen Monate habe es »allgemein antisemitische Hetzartikel und Drohungen auf einer Reihe von Blogs gegeben, die kurz vor der Premiere am Jüdischen Theater noch intensiver und unverhüllter wurden«.
Nach der Attacke auf das Theater hieß es in einem Beitrag für www.kuruc.info, einen viel gelesenen Blog der Rechtsextremisten: »Es gab keinen Skandal, die Aufführung wurde nicht gestört, die ekelhaften Hebräer wurden nicht massenhaft zusammengeschlagen. Alles, was passierte, ist, dass einige Mitglieder der Verbrecherbande eine Portion von dem erhielten, was die materielle Erscheinungsform ihres Geistes ist: einen Eimer voller Fäkalien«, damit »sie wirklich stinkende Juden sind.«
Vari sagt, die Sirály-Attacke »ist das erste Beispiel für eine offen antisemitische Beleidigung seit dem Regimewechsel 1989«. Schoenberger ergänzt: »Es war der erste eindeutige Schritt in die Richtung, dass Antisemiten Juden an jüdischen Orten vor aller Augen zusammenschlagen.«
Obwohl die Jüdische Vereinigung – zum Leidwesen der Theaterorganisatoren – den Überfall nicht öffentlich verurteilt hat, sagte Feldmajer gegenüber jüdischen Journalisten, er sehe die Schuld bei den laxen Gesetzen, gleichgültigen Gerichten und dem unzureichenden Schutz.
Die Jüdische Vereinigung versprach, Schritte zu unternehmen, um gesetzliche Maßnahmen durchzusetzen und die Sicherheit zu verbessern. Aber sie betonte auch, dass es Aufgabe der Polizei sei, Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten.
Inzwischen ermitteln die lokalen Behörden in dem Fall. Doch die Theaterorganisatoren haben sich an die Bürgerrechtsorganisation Company for Freedom Rights gewandt, um Wege zu finden, wie derlei Aktionen zukünftig verhindert werden können.
Die Reaktion der Neonazis auf die Inszenierung – und die Berichterstattung darüber in den lokalen Medien – hat diese weithin bekannt gemacht. Für diese Woche sind zusätzliche Aufführungen geplant. Eine solche Reaktion verwirre die Extremisten, findet Vajda. »Wir stehen auf und zeigen, dass wir uns nicht einschüchtern lassen«, sagt er. »Die Show muss weitergehen. Und sie wird weitergehen.«