NS-Zwangsarbeit

Braune Brandsätze

von Johannes Boie

Der Fensterrahmen ist schwarz vom Feuer, auf dem Fensterbrett liegt Ruß. Immerhin: Die Scheibe ist nur gesplittert, nicht zerschlagen. »Die alten Sicherheitsscheiben aus der DDR halten einiges aus«, sagt Daniela Geppert. »Sogar einen Molotow-Cocktail.« Die 37jährige Historikerin seufzt. »Mir war klar, daß das kommt.« Sie dreht den Kopf, deutet auf einen Stelle zwischen zwei großen Mietshäusern hinter ihr. »Da stand der Täter. An der einzigen Stelle, an der kein Haus steht. Das war geplant, ein geplanter Anschlag.« 50 Zentimeter über ihr, auf dem Dach der kleinen Baracke, ist noch ein Einschlag. Aber den kann man von unten nicht sehen.
Am 26. Oktober wurden die Brandanschläge auf das »Dokumentations- und Begegnungszentrum zur NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide« verübt. Geppert forscht hier über die Geschichte des Lagers. Wie viele Frauen und Männer in dem ehemaligen Zwangsarbeiter-Lager während des Zweiten Weltkrieges schufteten, kann sie nicht mit letzter Gewißheit sagen. Als sicher gilt, daß 500 Italiener und ein KZ-Außenkommando mit 200 Frauen aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen in Niederschöneweide leben mußten. Nach dem Krieg wurde das Lager als Impfstoff-Labor benutzt. Bis zur Wende. Eine lange Zeit. So lange, daß sich kaum noch jemand an die ursprüngliche Verwendung der soliden Steinbaracken erinnerte. Bis heute sind in einem Teil der Häuschen Autohändler, eine Sauna oder eine Kindertagesstätte untergebracht. Daß aus dem anderen Teil der Bauten in der Zwischenzeit ein Dokumentationszentrum wurde, grenzt an ein kleines Wunder. Denn erst drei Jahre nach der Wende war Stadtplanern die merkwürdige Anordnung der Baracken aufgefallen: Wenn das mal keine Nazi-Sache ist, hieß es. Und mit der Entdeckung, sagt Wissenschaftlerin Geppert, habe ein endloses Ringen über Nutzungskonzepte, Abrißpläne und Finanzierungen begonnen. Bis das Lager unter dem Dach der Stiftung »Topographie des Terrors« untergebracht war, endlich unter Denkmalschutz gestellt wurde und sich das Land zu einer jährlichen Zahlung von 360.000 Euro bereit erklärte, dauerte es elf lange Jahre. Eine Zeit, in der der Bezirk Treptow-Köpenick immer wieder mit Abriß drohte und der Bund reichlich viel Geld für das Grundstück haben wollte. Vor dem Krieg hatte es zu einem großen Teil einer jüdischen Familie gehört, die in den dreißiger Jahren flüchtete. Doch nun ist es geschafft. Das Dokumentationszentrum steht, seit August kommen die Besucher.
Über Daniela Geppert scheint die Herbstsonne auf den »Lernort«. Große Ahornblätter fallen von alten Bäumen geräuschlos zu Boden. Eine trügerische Idylle. Der Schatten, in dem das Lager einst gebaut wurde, scheint sich langsam wieder über Niederschöneweide zu legen. Man muß nicht bis zum Einschlag der Molotowcocktails laufen, um den braunen Fleck im Südosten der Haupststadt zu bemerken. Wer mit der S-Bahn kommt, sieht schnell, was hier nicht stimmt. »Lonsdale« heißt die Kleidermarke, die bei Rechten wegen ihrer vier Mittelbuchstaben »NSDA« so beliebt ist. Bei den jungen Männern, die am S-Bahnhof beim Bäcker rumstehen, ist klar, daß sie diese Kleidung nicht versehentlich gekauft haben.
Kaum ein Monat vergeht, ohne daß von hier eine politisch motivierte Straftat in die Berliner Statistik einfließt. Erst in der vergangenen Woche schlugen Nazis einem jungen Musiker eine Glasflasche ins Gesicht. Im Bezirk Treptow-Köpenick, zu dem Niederschöneweide gehört, hat die rechtsextreme NPD drei Abgeordnete in der Bezirksverordnetenversammlung sitzen. Einer von ihnen ist Udo Voigt, Bundesvorsitzender der »Nationaldemokraten«. Die Partei, die auf 5,3 Prozent der Stimmen kam, engagiert sich hier in der Jugendarbeit, hat eine Parteizentrale im Bezirk und macht der Bürgermeisterin Gabriele Schöttler (SPD) das Leben schwer. Die unterstützt jetzt in ihrer Partei einen erneuten Anlauf für einen NPD-Verbotsantrag. »Rechtsextremismus und Gewalt«, sagt Schöttler über ihren Bezirk, »sind zwei Seiten einer Medaille.«
War es in einem Bezirk wie Treptow-Köpenick nicht nur eine Frage der Zeit, bis das Dokumentationszentrum über NS-Zwangsarbeit ein Ziel von rechten Übergriffen werden würde? Bevor die Molotow-Cocktails über den hohen Zaun ge- schleudert wurden, waren zwei Schmierereien in einer Baracke entdeckt worden. »Von Kinderhand mit Sorgfalt geschrieben«, sagt Daniela Geppert und lacht dabei. Manchmal ist Ironie wohl ein Schutz vor der Realität in Schöneweide. Tatsächlich kann der Täter kaum gewußt haben, was er da malte. So kindlich ist das verdrehte Hakenkreuz und der gemalte Schriftzug »Heil Hitler«. Schockierend daran sei weniger das Ergebnis, sondern daß Kinder überhaupt auf solche Ideen kommen, sagt die Historikerin. Härter habe sie der Brandanschlag getroffen, von dem sie erfuhr, als sie auf einer Dienstreise war. »Nur weil die Baracken im Krieg gebaut wurden und daher aus Stein statt aus Holz sind, konnten die Brandsätze nicht viel ausrichten.« Aber verhindern läßt sich so ein Angriff auch nicht. Das Gelände wird zwar rund um die Uhr bewacht, aber es ist sehr groß. Der erfahrene Wachmann öffnet und schließt das schwere Stahltor und versucht, möglichst alle Baracken immer im Blick zu haben. »Egal, wie sehr ick mir Mühe gebe, det Jelände is viel zu jroß«, grummelt der Mann mit dem Schnauzbart, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Die Brandsätze haben die Täter geschleudert, als gerade seine Nachtschicht begonnen hatte. »Wenn ick in ‹ner Baracke bin, kann ich nich och draußen sein.«
Zum Glück sind da draußen aber nicht nur rechtsgesinnte Attentäter. Während einige der Anwohner das Dokumentationszentrum ob der finanziellen Spritzen, die es bekommt, eher argwöhnisch betrachten, haben sich andere entschlossen, ihre Rolle als Nachbarn einer wichtigen Einrichtung ernst zu nehmen. Ein paar Tage nach dem Brandanschlag ruft ein Anwohner nachts die Polizei, weil er einen jungen Mann mit Benzinkanister um den Zaun des Zentrums schleichen sieht. Die Polizisten kommen mit Blaulicht – und erwischen einen jugendlichen Benzindieb. Der Mann möchte nichts anzünden, sondern billig sein Auto tanken. Selbst zwei Jugendliche, die sich von den Stiefeln bis zum strengen Scheitel unmißverständlich angezogen haben, entpuppen sich nur als kleidungstechnisch fehlgeleitet. »Och, die Nazi-Schweine«, sagen die beiden 15jährigen grinsend. »Coole Klamotten, aber sonst scheiße.« Das Zentrum haben zumindest ihre Eltern schon besucht.
»Demokraten sind in Niederschöneweide in der Überzahl«, verspricht Bürgermeisterin Schöttler, und wie zum Beweis schimpft eine ältere Frau mit weißem Haar direkt vor der Gedenkstätte: »Das Doku-Zentrum muß hier bleiben, das ist wichtig. Und daran können auch die Glatzen nichts ändern.« Die ältere Frau stemmt die Hände in die Hüfte. Fast sieht es so aus, als würde sie sich einen jungen Nazi gerne mal zur Brust nehmen wollen. Ein paar hundert Meter weiter pflichtet ihr ein junger Mann bei: »Wenn wir die Vergangenheit vergessen, können wir die Zukunft aufgeben.« Die Aufrechten aus Schöneweide wollen es nicht hinnehmen, daß ihr Ort in braunem Dreck versinkt. Zahlreiche Initiativen kämpfen um Anstand und Gerechtigkeit – und um den Ruf des Bezirks. Die Bürgermeisterin selbst ist Vorsitzende des Bündnisses für Demokratie und Toleranz, einer Dachorganisation, unter der sich viele pro-demokratische Initiativen zusammengeschlossen haben. Am 9. Dezember will man gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auf die Straße gehen, bunt und laut soll es zugehen. »Auch in Niederschöneweide gibt es eine überwältigende Mehrheit von Demokratinnen und Demokraten. Wir alle verabscheuen die Anschläge und werden nicht zulassen, daß sich braunes Gedankengut ausbreiten kann«, sagt die Bürgermeisterin.
Aber dann gibt es da noch die kleine, energische Frau, die in einer der Baracken, die nicht zum Dokumentationszentrum gehört, ein Unternehmen führt. Die Frau in der roten Jacke ist gespalten, so wie das Viertel, in dem sie lebt. Der eine Teil in ihr findet den Lernort gut und richtig. Dann gibt es da jedoch noch das »andererseits«. Klar, das brauche man, das Gedenkzentrum. Klar aber auch, da sei halt »Wut auf die Reichen von dem Zentrum«. So etwas bekommt man hier häufig zu hören. Arbeitslosigkeit, Geldmangel und der daraus resultierende Frust. Dazu kommen Antise- mitismus und Vorurteile. »Nicht böse gemeint«, sagen die, die in vielem so denken wie die extremen Rechten. »Aber ein Nazi bin ick nich.« Diese Menschen wirken oft etwas unsicher, aber sie wollen die Chance nicht verstreichen lassen, »ihre Sicht der Dinge« in die Zeitung zu bringen. Das Vertrauen in die Medien und die Politik ist nachhaltig erschüttert. Ob man denn die Wahrheit sagen dürfe? Aber klar! »Die in dem Zentrum, die kriegen zuviel Geld.« Und: »Es gibt ooch heute noch Opfer, die nüscht bekommen«, sagt eine Frau. Was für Opfer? Sind ehemalige NS-Zwangsarbeiter mit heutigen Arbeitslosen vergleichbar? »Ach, jetzt fragen Sie mich aus. Ick sag’ jar nüscht mehr.«

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