Günter Nooke
ist seit 2006 Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik. Der CDU-Politiker gehörte in der DDR zur oppositionellen Bürgerrechtsbewegung.
Menschenrechte sind unveräußerlich. Staaten gewähren sie nicht in toleranter Geste, sie sind zu deren Achtung und Schutz verpflichtet. Als in diesem Sinne vorstaatliche Rechte stehen sie in einem gewissermaßen »natürlichen« Widerspruch zur nationalen Souveränität. Wer es also ernst meint mit den Menschenrechten, der muss sich für die Betroffenen einsetzen und Farbe bekennen. Das heißt gegebenenfalls auch, sich einzumischen. Wir können Menschenrechte weder schützen noch achten, wenn wir uns in theoretische Debatten über die »Einmischung in die inneren Angelegenheiten« von Staaten verwickeln lassen. Machen wir uns nichts vor: Die Geschichte der Menschenrechte ist eine Ge schichte der Einmischung. Es ist ein Kernelement des Menschenrechtsschutzes, dem Handeln eines Staates auch auf seinem Hoheitsgebiet Einhalt zu gebieten.
Im Fall des Iran kommt noch etwas hinzu: Er hat sich durch Ratifikation der Konvention über die bürgerlichen und politischen Rechte selbst zu Achtung und Schutz von Meinungs-, Medien- und Versammlungsfreiheit bekannt. Dass wir die iranische Führung an ihre eigenen menschenrechtlichen Verpflichtungen erinnern, ist das Mindeste, was die Demonstranten im Iran von uns erwarten können. In Diktaturen zur Ruhe aufzurufen, entmutigt dagegen nicht nur die Mutigen. Es stützt – gewollt oder ungewollt – die Mächtigen und zementiert damit auch ihre Positionen. Dabei ist es unerheblich, ob diese Positionen auf einer kommunistischen Ideologie wie in China oder Kuba gründen oder auf religiösen Argumenten wie im Iran.
Menschenrechte sind nach meiner festen Überzeugung nicht systemneutral. Warum sollten wir sonst über den »Unrechtsstaat DDR« reden? Natürlich geht es im Iran auch um Veränderungen des Systems. Welche Veränderungen die Menschen dort wünschen, müssen sie selbst diskutieren und entscheiden. Die Bilder der letzten Wochen zeigen, dass sie das wollen und dazu in der Lage sind. Ich sehe unsere Aufgabe darin, sie auf dem Weg bei diesen Entscheidungen zu unterstützen. Dass dann die Islamische Republik Iran so bleibt, wie sie ist, halte ich für eher unwahrscheinlich.
Was heißt dies für das Atomprogramm? Natürlich müssen wir mit der iranischen Führung reden. Aber auch hier ist es nicht zu viel verlangt, in Menschenrechtsfragen Farbe zu bekennen! In einem demokratischen Staatswesen wird es keine Mehrheit für das Streben nach einem atomaren Inferno geben. Von daher ist die Unterstützung der friedliebenden Menschen in Iran vielleicht das beste sicherheitspolitische Mittel, das wir haben – und wirksamer als viele Verhandlungsrunden mit zweifelhaften Regierungen.
Philipp Missfelder
ist Bundestagsabgeordneter der CDU,
ordentliches Mitglied des Auswärtigen Ausschusses
und seit 2002 Vorsitzender der Jungen Union.
Aus Teheran haben uns in den vergangenen Wochen erschreckende und zugleich eindrucksvolle Bilder erreicht. Wir sehen junge Menschen, darunter auffallend viele Frauen, die gegen die wahrscheinliche Fälschung der iranischen Präsidentschaftswahlen durch das theokratische Regime protestieren. Jene, die sich der übermächtigen Staatsgewalt mit größtenteils friedlichen Mitteln in den Weg stellen, die das brutale Vorgehen der Milizen aufgrund der eingeschränkten Pressefreiheit per Fotohandy und Twitter in die Welt tragen, appellieren an unsere Solidarität und verdienen unser Mitgefühl.
Als Bürger eines demokratischen Staates fällt es uns schwer, die massiven Menschenrechtsverletzungen auf den Straßen des Iran, die offenkundig vom obersten geistlichen und politischen Führer Ayatollah Chamenei und seinem Wächterrat legitimiert sind, unwidersprochen hinzunehmen. Doch nützt es der oppositionellen Bewegung um Mir Hossein Mussawi, wenn der Eindruck entsteht, dass westliche Gruppierungen oder Staaten die eigentlich treibende Kraft hinter den Massendemonstrationen sind? Sympathie und Solidarität mit den Demonstranten sind berechtigt, doch eine aktive Unterstützung der Proteste würde wahrscheinlich Gegenteiliges bewirken. Zugleich wirft die Pluralität und Aufsplitterung der iranischen Opposition die Frage auf, ob das von Ayatollah Chamenei und Präsident Ahmadinedschad forcierte Atomprogramm bei einem Präsidentenwechsel tatsächlich beendet werden würde. Wie stehen Mussawi und seine Anhänger zum Existenzrecht des jüdischen Staates Israel, dessen Verteidigung oberste Pflicht deutscher Außenpolitik ist?
Zählt die Leitfigur der Proteste, Mir Hossein Mussawi, als langjähriger Premierminister der Islamischen Republik und enger Vertrauter von Revolutionsführer Ayatollah Chomeini nicht selbst zur Elite der iranischen Theokratie? Wie ist es zu deuten, dass der unversehens in die Rolle des Oppositionsführers gerückte Architekt noch während der blutigen Niederschlagung der Proteste auf seiner Homepage zu Protokoll gab: »Die islamische Revolution sollte wieder so sein, wie sie war, wie sie sein soll«?
Solange diese Fragen nicht klar beantwortet werden können, bleibt eine gewisse Zurückhaltung und Skepsis bei der Unterstützung der Demonstranten im Iran angebracht. Aus deutscher Sicht sollte zunächst der wirtschaftliche Handel mit dem Iran überdacht werden. Es wäre unverantwortlich, wenn der Strom westlicher Industriegüter das Regime von Ahmadinedschad stabilisiert. Dies kann nicht in un- serem Interesse sein.