von Tobias Kaufmann
Der Kunstrasen knirscht. Dawud stemmt die Füße in den blauen Teppich. Granulat spritzt zwischen den Halmen hervor, wo der Ball aufgesprungen ist. Dawud sichert ihn, stupst ihn sanft vorwärts, dreht sich um einen chilenischen Gegenspieler, schiebt sich energisch am zweiten vorbei, den Blick nur auf der Kugel am Fuß, noch ein Schritt. Auf den Tribünen springen die ersten Zuschauer auf. Im selben Moment knallt der junge Mann den Ball aufs Tor, unten links, genau ins Eck. »What a tremendous goal«, ruft der Kommentator. Dawud reckt den Hals mit dem schwarzen Scorpion-Tattoo. Triumph leuchtet in seinen Augen, als er auf seine Teamkameraden zuläuft. Sie tragen knallorange Trikots, eine israelische Fahne auf der linken, die palästinensische Fahne auf der rechten Brust. Der Kommentator brüllt: »Three one for the Peace-Team!« Fünf Wörter. Beim Straßenfußballfestival auf dem Berliner Mariannenplatz sind sie mehr als die Ansage eines nackten Resultats. Viel mehr. Vier Palästinenser und vier Israelis spielen Fußball in einem gemeinsamen Team – und sie gewinnen sogar. Kann man mehr verlangen von einem Kick in einem aus Baugerüsten montierten provisorischen Fußballstadion? Ist es vielleicht sogar zuviel verlangt?
Solange die zwanzig Minuten laufen, wird auf dem Kunstrasen geschossen, gerannt und geschrien. Doron, der Mannschaftskapitän, wird von einem Chilenen zu Fall gebracht, rappelt sich hoch, an der Bande kämpfen Yossi und ein Chilene verbissen um den Ball. Solange es um Tore geht, macht die Diplomatie Pause. 4:1 steht es, als abgepfiffen wird. Es ist heiß, die Jungs schwitzen, doch Ruhe hat das Peace- Team nicht. Neben dem Platz warten Kameras, Mikrophone, Notizblöcke. Die Öffentlichkeit. Sie war dabei, als vor dem Spiel – wie beim Projekt »Streetfootballworld« üblich – zwischen dem chilenischen Team und der israelisch-palästinenischen Mannschaft über Zusatzregeln diskutiert wurde. Sie ist dabei, während die beiden Teams das Spiel auswerten, nur mit einem Dolmetscher als Moderator. Schiedsrichter gibt es nicht bei den Friedens-Fußballern. »Ihr habt gegrätscht, obwohl es anders vereinbart war«, schimpft der chilenische Mannschaftskapitän. »Euer Torwart hat den Ball außerhalb des Strafraums mit der Hand gespielt«, hält Doron dagegen. Minutenlang geht es hin und her, dann geben sie sich doch die Hände, Versöhnung, Glückwunsch. Die Kameras schwenken von Spieler zu Spieler.
Als Doron eine Viertelstunde später mit einem Stoßseufzer seine Zähne in ein Stück Wassermelone schlägt, hat er drei Interviews hinter sich. Doron ist 21, Soldat in der israelischen Armee. Wie das die palästinensischen Spieler finden, ausgerechnet mit einem Soldaten zu kicken? »Das sollten Sie vielleicht die Palästinenser fragen«, sagt Doron etwas unwirsch. Dann lächelt er doch: »Ich habe nichts Negatives gehört. Ich glaube, mich mögen sie am meisten.«
Aus der Arena im Hintergrund dröhnt das »Goooooooool!« des Kommentators herüber. Peru hat ein Tor geschossen. Doron blinzelt, der palästinensische Teamkollege Ferdi sagt in eine Fernsehkamera, daß es etwas besonderes sei, zwei Länder zu repräsentieren. Diese Länder. »Wir wußten, was uns erwarten würde«, sagt Roni. »Aber dann hat es uns doch überwältigt.« Die kleine Frau mit den glänzend schwarzen Zöpfen steht bei den Spielen am Rand, als ginge sie das alles nichts an. Dabei ist sie als Teammanagerin für die Jungs in Orange verantwortlich. »Hier sind 22 Teams aus aller Welt, aber 90 Prozent des Medieninteresses richtet sich auf uns.« Roni sagt das ganz ruhig, ohne jede Anklage in der Stimme. Sie ist dafür zuständig, eine Botschaft zu vermitteln. Das geht nun mal nicht mit dem Ball allein. Eine Woche sind sie jetzt hier, haben fünfmal gespielt und viel mehr geredet. Einige Spieler können kein Englisch. Manche wollen es nicht mehr können. Doron und Ferdi, der israelische Soldat und der palästinensische Student aus Ramallah, sprechen für sie mit. »Es ist manchmal hart«, sagt der 20jährige Palästinenser. »Aber wir fühlen uns verantwortlich. Wir sind ein spezielles Team, wir repräsentieren zwei Länder, damit müssen wir klarkommen.«
Sogar das Zimmer der Spieler in einer sanierten ehemaligen Schule haben Fern- sehteams ausgeleuchtet. »Das fanden die anderen Jungs ziemlich lustig«, sagt Ferdi grinsend. Die anderen Jungs, das sind Spieler aus Süd-London, mit denen sich das Peace-Team ein Zimmer teilt. 12 Betten stehen darin, Hochbetten, aus den gleichen Gerüsten, mit denen auch die Arena gebaut wurde. Mehr als 200 Teilnehmer des Festivals sind so untergebracht, die Gerüstbetten können später restlos wieder abgebaut und von Baufirmen weiterverwendet werden. »Nur eine ganze Menge Matratzen werden wir übrig haben«, sagt ein Organisator. Jedes Zimmer ist mit dem Porträt eines internationalen Fußballhelden geschmückt. Neben der Tür, hinter der die Israelis, die Palästinenser und die Londoner schlafen, prangt das Bild von Yossi Benayoun, Israels Mittelfeldstar – und ein Davidstern.
»Ich habe kein Problem damit«, sagt Ferdi. Seltsam war für ihn eher, auf so engem Raum mit so vielen fremden Jungs zu leben. Morgens zu beten, während im selben Raum nur einen Schritt weiter die Juden dasselbe tun. Ferdi hat als Kind auf der Straße gekickt. An der Birzeit-Universität ist er einem Scout des Peres Center for Peace aufgefallen. Vier Monate ist das her. Seitdem ist Ferdi mit den sieben anderen zweimal pro Woche zum Training gegangen. Sie wurden speziell für das Berliner Festival ausgewählt. »Anfangs habe ich mich mit der anderen Seite schwergetan«, gibt Ferdi zu. Auch die Reaktionen in seinem Umfeld waren nicht nur positiv. Jetzt aber betont er, wieviel Spaß man miteinander habe. Das Training hat dabei geholfen, aber auch gemeinsame Workshops. »Jeder hat erzählt, wo er herkommt, wie sein Leben verlaufen ist, was er über die Situation denkt«, erzählt Roni. Konkret darüber gesprochen haben sie nicht. Nicht viel jedenfalls. »Bei der Friedenserziehung muß man aufpassen. Man darf nicht zu tief in den Konflikt einsteigen, vor allem nicht bei jungen Leuten«, erklärt Roni. Sie managt mit ihren Kollegen vom Peres Center for Peace palästinensisch-israelische Fußball- und Baketballschulen. 2.400 Kinder aus 40 Orten in Israel und den palästinensischen Gebieten nehmen daran teil, noch nie ist ein Freundschaftsspiel aus politischen Gründen ausgefallen.
Gemeinsamer Sport als Mittel gegen Elend und Haß, dieses Konzept eint die Projekte des Straßenfußballfestivals. Es läßt selbst einen schier ewigen Konflikt wie den im Nahen Osten manchmal harmlos erscheinen. In Ruanda kicken Jungs und Mädchen zusammen, deren Eltern sich früher mit Macheten abschlachten wollten. In Kolumbien ist Fußball der Ausweg aus einem Kreislauf brutaler Gewalt jugendlicher Gangs. In Südafrika geht es gemeinsam gegen Aids, das schon kleine Kinder dahinrafft. »Auch wenn man das nicht miteinander vergleichen kann, ist es für unsere Spieler eine wichtige Erfahrung, daß es auch in anderen Orten der Welt junge Menschen gibt, die es schwer haben«, sagt Roni.
»Fußball kann die Welt verändern« steht auf dem Programmheft der Straßenfußball-WM. Diese Hoffnung verbindet die Kicker auf dem Kreuzberger Mariannenplatz, egal, woher sie kommen. »Wir werden den Konflikt nicht lösen«, sagt Doron. »Aber wir geben ein gutes Beispiel.« So gut, daß die Spieler in Berlin heimlich von der israelischen Botschaft und der palästinensischen Gesandtschaft empfangen wurden. Und so plakativ, daß die Medien an dieser Geschichte nicht vorbeikommen. Wie sollten sie auch, wenn Dawud zwei Gegner stehenläßt, den Ball so gefühlvoll vors Tor löffelt, daß Doron, der Soldat, ihn nur über die Linie schieben muß? Und das alles, während Gilad Schalit, ein Kamerad des 21jährigen, in Gasa verletzt in einem Bunker sitzt, als Geisel palästinensischer Terroristen? Während Israels Armee palästinensische Städte bombardiert und palästinensische Raketen auf israelische Städte regnen?
Die Jungs vom Peace-Team sprechen nicht über die aktuelle Situation. Sie gehen shoppen, reden über Musik, Hobbys, Mädchen. Ferdi lacht aus müden Augen. Weder die Spiele noch die vielen Interviews sind schuld daran. »Wir waren bis vier Uhr morgens unterwegs«, sagt der Student. Dann dreht er sich verschwörerisch um. »Die Mädchen in Berlin sind wunderschön«, schwärmt er. »Schreib das unbedingt auf.«