von Michael Wuliger
Wer Mel Brooks, geboren am 28. Juni 1926 als Melvin Kaminsky in Brooklyn, verstehen will, muß eine Zeitreise in den Borscht Belt der fünfziger Jahre machen. So nannte man die Sommerfrischen in den Catskill-Bergen, wo das jüdische New Yorker Kleinbürgertum Urlaub machte. Zur Vollpension gehörte dort neben Unterbringung und drei Mahlzeiten auch ein abendliches Unterhaltungsprogramm mit Tanzmusik, Varieté und Standup-Comedy. Man muß sich die Atmosphäre in etwa vorstellen wie bei einem Dorffest: ständiges Kommen und Gehen, laute Unterhaltungen an den Tischen, feuchtfröhliches Publikum. Subtiles hatte hier keine Chance. Die urlaubenden jüdischen Kleingewerbetreibenden wollten Klamauk: grobschlächtig, zotig, und natürlich jüdisch gewürzt, »hajmisch«, wie man auf Jiddisch sagt.
Im Borscht Belt hat Mel Brooks seine Karriere begonnen. Dem Stil, den er dort gelernt hat, ist er sein Leben lang treu geblieben. Damit markiert er im amerikanisch-jüdischen Humor den Gegenpol zu Woody Allen: Wo der sensibel, intellektuell und mit Hang zur Tragik daherkommt – Hiob als komische Figur – ist Brooks vulgär wie ein Furzkissen.
Deutlich wird das vor allem in seinen Filmparodien. So ziemlich sämtliche cineastischen Genres hat Brooks durch den Kakao gezogen: Vom Western (Der wilde, wilde Westen 1974) über Horror (Franken- stein Junior 1974), Stummfilm (Die letzte Verrücktheit 1976), Hitchcock-Thriller (Höhenkoller 1977), Historienschinken (Mel Brooks’ verrückte Geschichte der Welt 1981), Science Fiction (Verrückte Raumfahrt 1987) bis Mantel und Degen (Robin Hood – Helden in Strumpfhosen 1993). Das Strickmuster war stets gleich: ins Absurde gezogene Plots, zu Karikaturen überzeichnete Charaktere, viel Slapstick sowie krude, oft zotige und skatologische Gags. Und vor allem wurde viel gejiddelt: »Lus ihm gaijin«, sagt der Indianerhäuptling in Der wilde, wilde Westen. »Oijfgepast, junger Fraind«, spricht Dr. van Helsing in Dracula – Tot aber glücklich (1995).
Diese Art Brachialhumor war im Borscht Belt gut angekommen und funktionierte anfangs auch in Hollywood. Der wilde, wilde Westen und Frankenstein Junior waren Kassenhits. Die nachfolgenden Streifen nicht mehr. Das Publikum wurde des immer gleichen Musters allmählich müde. Auch daß Regisseur Brooks die Hauptrollen stets mit demselben Darsteller besetzte, nämlich sich selbst, nervte auf Dauer.
Wäre Mel Brooks’ Lebenswerk auf diese Filme beschränkt, könnte man ihn zu seinem achtzigsten Geburtstag mit einer kurzen Meldung abhandeln, als zeitweilig erfolgreichen Klamotten-Regisseur. Doch Brooks hat gezeigt, daß er auch anders kann. Mit zwei Arbeiten ist er zu einem Klassiker des jüdischen Humors geworden. Die eine ist The Twothousand Year Old Man, eine Standup-Serie, die Brooks 1960 zusammen mit Carl Reiner entwickelte. Brooks, der »zweitausend Jahre alte Mann« ist der sprichwörtliche jiddische »alte Kacker«, ein knorriger Greis, der fast die gesamte Weltgeschichte miterlebt hat und sie jiddelnd kommentiert: »Jesus? Dünn, sehr dünn. Nervös. Trug Sandalen. Kam oft in den Laden. Kaufte nie was.« Oder die Jungfrau von Orléans. Sie war keine. Er weiß es, er hatte was mit ihr: »Ich hab’ ihr gesagt: ›Geh Du Frankreich retten. Ich mach derweil den Abwasch.‹«
Der Twothousand Year Old Man war in den sechziger Jahren Kult. Heute kennen ihn nur noch wenige. Anders steht es um das zweite Werk, das Mel Brooks’ Ruhm begründet hat. 1967 kam der Film The Producers heraus, deutschen Zuschauern unter dem Titel Frühling für Hitler bekannt. Es ist die Geschichte eines erfolglosen – natürlich jüdischen – Broadwayproduzenten, der seinen mangelnden Erfolg zu Geld zu machen versucht, indem er einen Flop als Steuerabschreibungsmodell für reiche Leute auf die Bühne bringen will. Und was könnte in New York mehr floppen als ein Musical mit Adolf Hitler als Held? Pech für den Produzenten: Das Stück wird ein Hit, das Abschreibungsmodell kollabiert. Frühling für Hitler erhielt 1967 einen Oscar für das beste Drehbuch, auch wenn manche (nicht zuletzt jüdische) Kritiker monierten, daß Hitler als tanzende und singende Witzfigur zu zeigen bedenklich sei, von den zahllosen frauen -, schwulen- und minderheitenfeindlichen Witzen im Film ganz abgesehen. Ein politisch unkorrektes Stück wie dieses würde er heute nicht mehr machen können, meinte Brooks 1997 in einem Interview. Da irrte er zum Glück. Die Musicalversion von The Producers, läuft seit fünf Jahren in New York vor ausverkauftem Haus, die Verfilmung kam im Frühjahr in die deutschen Kinos. Zwölf Tonys, die Oscars des Broadways, gab es für die Bühnenfassung, so viele wie noch nie zuvor in der Geschichte des Preises. Bei der Verleihung blieb Mel Brooks seinem Stil treu. Er dankte allen an der Produktion Beteiligten – und Adolf Hitler.