Die Spurensuche eines Forscherduos förderte ein dunkles Kapitel amerikanischer Geschichte zutage: Einflussreiche Personen in den USA standen dem verbrecherischen NS-Programm näher, als es bisher öffentlich wahrgenommen wird. Eine Schlüsselfigur nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war der populäre US-General George Patton – ein Anhänger der Eugenik.
Die Story begann im Sommer 1999. Die Historikerin Cecilia O’Leary und der Kriminologe Anthony Platt waren zu Studienzwecken an der Huntington-Bibliothek in Kalifornien, als das Institut öffentlich bekannt gab, dass es ein von Hitler unterschriebenes Original der »Nürnberger Gesetze« unter Verschluss hielt – 54 Jahre lang. Diese Nachricht brachte den Stein bei den Forschern ins Rollen. Vor allem Platt »ging es um die Erkundung meiner eigenen jüdischen Identität«.
Die wichtigste Frage: Warum hielt die Bibliothek dieses Dokument so lange geheim? Schon bald stieß das Duo auf den Namen George Patton, US-General der alliierten Streitkräfte in Europa, im Dezember 1945 an den Folgen eines Autounfalls in Heidelberg gestorben. Er war eine der schillerndsten Personen des Zweiten Weltkriegs. So war er bei der Befreiung des KZ Buchenwald tief erschüttert über das, was er dort sah. Patton war aber auch Antisemit und brüskierte seine Zeitgenossen mit seiner Bewunderung für die SS. Ansichten, mit denen er sich bald den Zorn des Oberbefehlshabers und späteren US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower zuzog.
Der gefeierte wie gehasste Militär war, wie die Forscher herausfanden, mit der Huntington-Bibliothek eng verbunden. Sein Vater war geschäftlicher Teilhaber von Henry Huntington, dem Gründer der Bibliothek. Der General habe einst zu Protokoll gegeben, dass ihm die brisanten Dokumente von seinen Truppen bei »einer großen öffentlichen Präsentation« geschenkt wurden, erklärt Anthony Platt. Die Recherchen ergaben aber, dass diese Version erfunden war. Tatsächlich fanden US-Soldaten 1945 die »Nürnberger Gesetze« in der oberbayerischen Kleinstadt Eichstätt. US-Soldaten mit jüdischen Wurzeln übergaben Patton die Dokumente in der Annahme, er würde sie als Beweismaterial den Kriegsverbrecherprozessen in Nürnberg zukommen lassen.
Doch die Dokumente nahmen einen anderen Weg: Der General veranlasste, dass sie als »Souvenir« in die Huntington-Bibliothek kamen. Die Führungsebene des Instituts im kalifornischen San Marino war eine Keimzelle der Eugenik. Diesem Kreis stand auch Patton nahe. Der Begriff steht für die Vorstellung der Verbesserung des Menschen durch Zucht seiner Erbanlagen (auch »Rassenhygiene«). Einflussreiche Personen in den USA aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft waren Anhänger dieser Ideologie. »Amerikanische Eugeniker unterstützten aktiv die Zwangssterilisation von ›Minderwertigen‹, befürworteten eine rassistische, restriktive Einwanderungspolitik und eine rassische Trennung bei Bildung und Wohnraum«, erklärt Platt. Zudem seien US-Eugeniker in den 30er-Jahren Bewunderer des NS-Programms gewesen.
Platt übt scharfe Kritik an der schwachen Aufarbeitungskultur in den USA: Dass die Dokumente an der Bibliothek 54 Jahre lang geheim gehalten wurden, gebe einen »Einblick in die Politik von Erinnern und Vergessen«. Dagegen lobt er die »starke Erinnerungskultur« in Deutschland, wie sie etwa durch das Holocaust-Mahnmal in Berlin oder das Dokumentationszentrum in Nürnberg praktiziert wird. Denn eines sei ihm klar geworden: »Kein Staat ist immun gegen Antisemitismus«.
Anthony M. Platt, Cecilia E. O’Leary: Bloodlines. Recovering Hitler’s Nuremberg Laws. From Patton’s Trophy To Public Memorial.
Paradigm Publishers 2005, 268 S., 19,95 $