von Beate Hinrichs
Sensations- und Schockfotos aus dem Nahen Osten gibt es genug, oft geschossen von eilends eingeflogenen Bildreportern, die bald ins nächste Krisengebiet weiterreisen. Kai Wiedenhöfer macht es anders: Er investiert in seine eindrucksvollen Bilder viel Zeit und viel Kontakt zu den Menschen. Schon sein erstes Buch Perfect Peace – The Palestinians from Intifada to Intifada (2002) war nah dran an den Menschen, die es porträtierte. Wiedenhöfer hat über ein Jahrzehnt lang in den besetzten Gebieten gelebt und fotografiert. Nach dem Studium an der Essener Folkwangschule hatte er in Damaskus Arabisch gelernt – weil »ohne Sprache keine gute Fotografie möglich« ist. Mit einem halben Dutzend internationaler Preise sind seine Arbeiten ausgezeichnet worden.
Für seine zweite Buchveröffentlichung hat Wiedenhöfer sich fotoästhetisch an etwas Neues gewagt, an die Panoramakamera. Die adäquate Fototechnik für dieses Bauwerk, sagt er: Die Sperranlage ist lang und 6 x 17 cm Negative auch. Herausgekommen sind fünfzig Vergrößerungen im Format 60 mal 20 Zentimeter – man tritt unwillkürlich einen Schritt zurück, was au- tomatisch einen gewissen Abstand in der Betrachtung schafft.
Die Abschottung und die Annexion palästinensischen Landes durch die israelische Grenzziehung sind das Thema des Buchs. Sichtbar wird vor allem das Mittel dazu: die Mauer.
Die unsichtbaren Hintergründe erschließen sich aus den Begleittexten. Zum Beispiel der zu einem Bild, das im Vordergrund weiße Balkonkästen mit rot blühenden Blumen auf einer Betonbrüstung zeigt. Direkt davor eine kurvige Straße, grauer Asphalt mit sauberem weißen Mittelstreifen, zwischen zwei hohen, transparenten Zäunen. Dahinter öffnet sich der Blick auf einen Hügel und die ordentlich darauf errichtete Siedlung, auf die ein Streifen Sonnenlicht fällt. Es ist die jüdische Siedlung Har Homa südlich von Jerusalem, die vom Grenzzaun eingeschlossen werden wird. Der wird einige der benachbarten palästinensischen Dörfer vom übrigen Westjordanland abschneiden und die Orte zu einem Teil des israelischen Jerusalems machen.
Auf den meisten Bildern sind die Menschen optisch Randfiguren. Etwa in der Schwarzweiß-Aufnahme mit den flach auf der Erde liegenden Fertigelementen aus grauem Beton, kantig und schroff und alle gleich. Sie erinnern an Legosteine oder Baukastenteile, fast ästhetisch in ihrer gleichmäßigen Struktur. Ihre tatsächliche Höhe von acht oder neun Metern ermisst sich erst aus den klein und verloren wirkenden Menschen am oberen Bildrand, die an den Betonteilen vorbeihasten. Kein Sensationsfoto, sondern Alltag an einer Grenze, die gerade geschlossen wird. Ein Bild, in dem man lesen muss, wie in den 49 anderen dieses Bandes.
kai wiedenhöfer: wall
50 farbige und schwarz-weiße Photographien
Steidl, Göttingen 2007, 104 S., 30,00 €