von Sabine Brandes
Die Farben sind so dramatisch wie die Lage. Schwarz und blutrot. Keine Beschönigungen mehr, keine Verniedlichungen auf den Plakaten, die neben vielen großen Straßen prangen: Israel sitzt auf dem Trocknen. Vor wenigen Tagen veröffentlichte die Wasserbehörde ihren Notfallplan für »die ärgste Wasserkrise in der Geschichte des Landes«. Der See Genezareth, Versorgungsquelle Nummer eins, hat sein niedrigstes Niveau erreicht.
»Israel bewegt sich von Rot zu Schwarz«, warnen die fetten Buchstaben auf den Postern, in Fernseh- und Internetspots, »wir haben kein Wasser zu verschwenden«. Die Kampagne soll aufrütteln, endlich zum Sparen mahnen. Doch nicht alle fühlen sich angesprochen. »Das sagen sie jeden Sommer zur selben Zeit«, meint Kinderpflegerin Dina Schalom. »Ich kann es schon nicht mehr hören.« Ein weitreichendes Wasserproblem für ihr Land sieht sie nicht und schon gar keine Notwendigkeit, auf jeden Tropfen zu achten. Ihre Familie macht alles weiter wie bisher: langes Duschen, Pflanzen bewässern, Autos waschen. »Wir sind nicht sehr verschwenderisch, denn es kostet ja unser Geld, sorgen uns aber nicht besonders darum. Man kann sich schließlich nicht bei allem einschränken.«
Diese Meinung ist kein Einzelfall. Nach langen Jahren der Vernachlässigung des Themas durch die Politik kann man den Bürgern kaum verübeln, eine gewisse Ignoranz an den Tag zu legen. Reporter der Fernsehsendung »Kolbotek« fanden heraus, dass die Stadtverwaltung Tel Aviv einige ihrer Grünflächen bis vor Kurzem noch in sengender Mittagssonne wässerte. Diese Vorgeschichte der Gleichgültigkeit sei verheerend, meinen Umweltexperten. Über lange Jahre hätten verschiedene Regierungen ein »systematisches Missmanagement der Wasserressourcen« betrieben.
Uri Schani, Leiter der Wasserbehörde, machte jetzt auf einer Pressekonferenz klar, dass dies die schlimmste Notlage seit Beginn der Aufzeichnungen vor 80 Jahren sei. »Wie die meisten Länder ist Israel vom Regen abhängig, und dabei haben wir einen Rückgang von 100 Millionen Kubikmetern pro Jahr.« Es ist heiß und der Wasserspiegel sinkt weiter: Vor Kurzem fiel das Niveau unter die rote Warnlinie, die bei 213 Metern unter Normalnull liegt. Es wird erwartet, dass der Kinneret, wie der See in der Landessprache heißt, im Dezember die schwarze Marke erreicht: 214,87 Meter unter Null.
Das Problem ist nicht Mangel allein: Sobald die natürlichen Ressourcen, hauptsächlich der See sowie das Grundwasser an der Küste und in den Höhen derart niedrige Wasserstände erreichen, drohen den Gewässern irreparable Schäden. »Das Grundwasser in den Bergen liegt derzeit noch et-
was über Rot, es wird aber erwartet, dass auch hier die unterste Linie bis Jahresende erreicht wird, an der Küste ist es schon unter Schwarz angelangt«, zeichnete Schani ein düsteres Bild. »So wenig Grundwasser gab es noch nie.«
Jetzt soll schnell Abhilfe geschaffen werden. Erstens soll der momentane Bedarf durch das Abpumpen aus den Kinneret-Zuflüssen gedeckt werden. Wasser, das den See eigentlich in zwei Jahren erreichen sollte. »Wir borgen von der Zukunft«, so Schani. Zudem werden verschmutzte Brunnen gereinigt. Und wie oft soll die Bevölkerung es auch am Geldbeutel merken: Seit einer Woche müssen die Menschen das Doppelte für ihr Gartennass berappen. Außerdem wurde die Frischwasser-Bewässerung in der Landwirtschaft drastisch reduziert, als Folge erwarten Obst- und Gemüsebauern Verluste in Höhe von 20 Millionen Euro. Für die Zukunft arbeitet die Wasserbehörde an einem Konzept, bei dem der reguläre Verbrauch für Haushalte beim selben Preis bleiben soll, zusätzlicher Wasserbedarf indes deutlich teurer wird.
Für Experten ist das nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Society for the Protection of Nature in Israel (SPNI) meint, dass die Versäumnisse der vergangenen Jahre nicht mit ein paar Sofortmaßnahmen ausgebügelt werden könnten. Die Umweltschützer sehen im Menschen die Ur- sache. »Diese Krise ist nicht vom Himmel gesandt, sondern wurde durch die stetige Ausbeutung und Verschmutzung der natürlichen Ressourcen selbst verschuldet.«
Ein weiteres Problem ist der Mangel an Entsalzungsanlagen im Land. Derzeit werden auf diese Weise 130 Millionen Kubikmeter Süßwasser produziert, mit der Inbetriebnahme der Hadera-Anlage im nächs-
ten Jahr werden es um die 270 Millionen sein. Bereits 2001 war geplant, diese Menge auf 400 Millionen auszuweiten. Im dürren Sommer des Jahres sah die Lage ähnlich dramatisch aus wie heute. Damals hatte die Regierung dem Bau weiterer Anlagen zugestimmt, doch als der nächste Regen genug Wasser brachte, waren die Pläne wieder vom Tisch. Genau das prangern die Umweltspezialisten an: die fehlende langfristige Planung zur Vermeidung einer Notsituation. Zwar sind die Entsalzungsanla-
gen kein Allheilmittel, sie verschandeln die Küstengegend, in der sie errichtet wurden und verbrauchen riesige Mengen Strom. Doch ohne diese zusätzlichen Wasserquellen wird Israel in Zukunft nicht mehr auskommen.
Jetzt soll erst einmal gespart werden: Die Internetsite www.water.gov.il der Regierung erklärt in einfachen Worten und Bildern, was jeder gegen Verschwendung tun kann. »Duschen Sie zwei Minuten weniger und sparen dabei 40 Liter« oder »Bewässern Sie ihren Garten fünf Minuten kürzer – 250 Liter weniger«, heißt es da unter anderem.
Einige machen schon vor, wie es gehen kann: Eine Schule im Moschav Tzur Hadassah benutzt das Überlaufwasser der Trinkautomaten für die Bewässerung des ökologischen Schulgartens. Zudem sammelt die Schule Regenwasser vom Dach in verschiedenen Behältern, von denen es in die Toilettenspülungen geleitet wird. In Emek Hefer suchte ein Wettbewerb zwischen allen Schulen nach dem klügsten Wassersparkonzept. Alle Jungen und Mädchen waren aufgefordert mitzumachen. Das Ergeb-
nis kann sich sehen lassen: Zwei Schüler eines Gymnasiums tüftelten einen Plan aus, wie man das Kondenswasser der Klimaanlagen auffangen und zur Gartenbewässerung nutzen kann.
Für Gil Cohen aus Tel Aviv ist das alles selbstverständlich. »Seit ich denken kann, spare ich schon unser kostbares Nass. So bringe ich es auch meinen Kindern bei. Vollbäder gibt es bei uns nicht, dafür kurze Duschen. Einmal am Tag fünf Minuten, jedes weitere Mal eine Minute. Und wir sind auch nicht schmutziger als die anderen.« Cohen ist umweltbewusst, aber engagiert sich nicht in einer Organisation. »Wir können nicht weitermachen, als ob es kein Morgen gibt. Was für eine Welt sollen unsere Kinder und Enkel denn von uns bekommen?« Er meint: »Wenn die Israelis jedes Jahr nur zehn Prozent des natürlichen Wassers sparen würden, dann gäbe es schon mittelfristig kein Problem mehr.«