von Daniela Breitbart
Er galt als das Musterbeispiel für den Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen in der DDR. Der engagierte Rechtsanwalt Walter Linse war seit 1951 Mitarbeiter im »Untersuchungsausschuss freiheit-
licher Juristen« (UFJ), einer Organisation, die sich die Dokumentation staatlichen Unrechts in der DDR auf die Fahnen geschrieben hatte. Im Juli 1952 wurde Linse, der drei Jahre zuvor aus der DDR nach West-Berlin geflohen war, von einem Kommando Krimineller im Auftrag des DDR-Staatssicherheitsdienstes entführt. Nach monatelangen Verhören wurde er wegen Spionage und Feindpropaganda zum Tode verurteilt und im Dezember 1953 in Moskau erschossen.
Der Förderverein der Stasiopfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen will nun einen neuen Preis ausloben – einen Preis, der alle zwei Jahre Persönlichkeiten auszeichnen soll, die sich »um die kritische Auseinandersetzung mit der kommunistischen Diktatur in Ostdeutschland besonders verdient gemacht haben«. So wie Walter Linse, nach dem der Preis benannt werden soll. Denn Linse war nach seiner Entführung im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen inhaftiert.
Doch stand Walter Linse wirklich, so wie es der ehemalige Bundesverfassungsrichter Hans Klein in der Preis-Broschüre verkündet, »für den antitotalitären Widerstand«?
Genau das zieht Martin Gutzeit, der Berliner Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, in Zweifel. Er verweist auf neue Forschungen, nach denen Linse seit 1938 als Referent der Industrie- und Handelskammer Chemnitz mit der »Arisierung« jüdischen Eigentums zu tun hatte. So veröffentlichte der Publizist Benno Kirsch in diesem Jahr bei der Stiftung Sächsische Gedenkstätten eine Studie, die erstmals die Tätigkeit Linses in den dreißiger und vierziger Jahren aufzeigt. Bislang klafft zwischen dem Ende seines Studiums 1927 und seiner Flucht aus der DDR im Jahre 1949 in allen offiziellen Lebensbeschreibungen Linses eine biografische Lücke.
Seine Tätigkeit in der Industrie- und Handelskammer allein sagt zunächst nichts über Linses Haltung zum NS-Staat aus, darin sind sich auch die Kritiker einig. Es ist noch nicht einmal geklärt, ob Linse NSDAP-Mitglied war. Dennoch kommen angesichts der dürftigen Faktenlage Zweifel auf, ob Linse als Namensgeber für einen Preis geeignet ist, der das Eintreten für das Recht belohnen soll.
»Die Namensgebung zeugt von großer Oberflächlichkeit«, rügt Peter Fischer, Referent für Gedenkstätten beim Zentralrat der Juden in Deutschland, die Entscheidung des Fördervereins. »Es gibt durchaus bessere und aussagekräftigere Biografien.« Fischer warnt vor einem allzu unbekümmerten Umgang mit der Geschichte: »Das diskreditiert die wirklichen Opfer stalinistischer Gewaltherrschaft.«
Silke Bauer, Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der Gedenkstätte Hohenschönhausen, bedauert die Diskussion um die Namensgebung. »Das Bundesarchiv hatte auf Anfrage des Fördervereins bestätigt, dass Linse weder Parteimitglied war noch eine tragende Funktion in der NS-Diktatur innehatte«, rechtfertigt sie die Namenswahl. »Sonst hätten wir den Preis nicht so benannt.« Der Direktor der Gedenkstätte, Hubertus Knabe, hält dennoch eine Umbenennung für denkbar: »Eine NS-Belastung macht Linse als Namensgeber ungeeignet. Dies muss man seriös prüfen.« Knabe zeigte sich jedoch »überrascht« darüber, dass die neuen Erkennt- nisse nicht direkt dem Verein zugetragen, sondern mit einer Briefaktion an die Öffentlichkeit gebracht und so »zum Politikum gemacht« wurden: »Mir liegen die Unterlagen bis heute nicht vor.«