von Ralf Hübner
Albina Maksudowa geht am Gymnasium in die neunte Klasse. Sie ist eine gute Schülerin, Nachhilfestunden hat sie eigentlich nicht nötig. Trotzdem braucht sie bisweilen Unterstützung. »Ich habe vor anderthalb Jahren mal in Chemie einen Test nicht bestanden«, sagt sie. Einige Reaktionsgleichungen machten ihr zu schaffen. Die Rettung kam vom Dresdner Büro der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden (ZWSt), die unentgeltlich Nachhilfe anbietet. Nach einigen Unterrichtsstunden war Albina wieder auf dem aktuellen Stand.
Hilfe in Chemie fand Albina bei Tatjana Simon. Die 43-jährige blonde Frau ist Biologie- und Chemie-Lehrerin. Zumindest war sie es in ihrer Heimat im fernen russischen Osten, auf der Insel Sachalin. »Lehrer braucht in Sachsen niemand«, sagt Tatjana bitter. Zudem werde ihr Diplom nicht anerkannt. Nun unterrichtet sie ehrenamtlich Zuwandererkinder. »Das mache ich gern.« Sie nimmt die Aufgabe ernst und liest die deutschen Schulbücher. »Jede Unterrichtsstunde muss gut vorbereitet werden.« Wenn ihre Schützlinge dann gute Noten bekommen, freut sie sich.
Der Unterrichtsraum befindet sich in der zweiten Etage des Dresdner Gemeindezentrums. Licht strömt von zwei Seiten durch die Fenster. Die Tische sind u-förmig aufgestellt. An der Wand hängt eine grüne Schultafel. Kreide liegt in einer Ablage. Leise dringt gedämpfter Straßenlärm nach innen.
Vier Lehrer gehören derzeit zum Unterrichts-Team. »Für die Großen fehlt uns noch jemand für Mathematik und Französisch«, klagt Karin Buron von der Zentralwohlfahrtsstelle. »Solche Lehrer sind derzeit schwer zu finden.« Unlängst erst hatte sie Glück mit einem Englisch-Lehrer, der sich bei ihr gemeldet hat. »Das brauchen wir häufiger«, sagt sie.
Glück hatte sie auch mit der 47-jährigen Marina Verkhovskaya, die vor fünf Jahren aus der Ukraine nach Dresden gekommen ist. An der Universität in Rostow am Don hatte Marina Verkhovskaya Deutsch und Englisch unterrichtet und sogar Lehrmaterial verfasst. Jetzt profitieren Kinder wie die in Saratow geborene 11-jährige Katja Galushka aus einer Dresdner Mittelschule vom Wissen der Lehrerin. Eigentlich geht Katja viel lieber schwimmen – Synchronschwimmen – aber jetzt paukt sie Englisch. Ihre Leistungen seien schon viel besser geworden, lobt Marina Verkhovskaya. »Vor allem die Kinder von Neuankömmlingen brauchen diese Hilfe.« Es sei anfangs gut, mit ihnen das in der Schule Gehörte noch einmal auf Russisch durchzugehen. Dann könnten sie dem deutschen Unterricht besser folgen.
Seit bald zwei Jahren wird die unentgeltliche Nachhilfe in Dresden angeboten. 35 Familien mit schulpflichtigen Kindern gibt es in der jüdischen Gemeinde. Derzeit nehmen etwa 10 bis 15 Kinder unterschiedlicher Klassenstufen die Unterrichts-Einheiten im Gemeindezentrum in Anspruch. Das Lernen hier macht Spaß, es ist frei von Stress. Die Lehrer konzentrieren sich meist im Einzelunterricht auf ihre Schützlinge. Die Unterrichtszeit wird flexibel vereinbart. Zurückgewiesen wird niemand. »Aber einer aus der Familie sollte schon Kontakt zur Gemeinde haben«, sagt Buron.
Bekannt gemacht wird der Nachhilfe-Unterricht im Schaukasten und allmonatlich im Gemeindeblatt. Manchmal spricht Karin Buron auch mit den Eltern. »Ich kenne einige Kinder, für die es nicht schlecht wäre, wenn sie zu uns kämen.« Dennoch reagieren die Eltern bisweilen zurückhaltend. »Es gibt da eine Scheu.« Andere wiederum bevorzugten einheimische Lehrer für ihren Nachwuchs. »Da ist viel Ehrgeiz im Spiel«, glaubt Karin Buron. Dennoch wird sie nicht müde, für ihr Projekt zu werben und hofft, dass es weitergeführt werden kann. »Es geht um unsere Zukunft. Die Zuwandererkinder müssen die gleichen Chancen haben wie die anderen auch.«
Albina geht derzeit nicht oft zur Nachhilfe. Aber sie weiß: »Wann immer es schwierig wird, rufe ich an und vereinbare ein paar Stunden.«