von Anke Ziemer
Kann man im Alltag immer zu seiner Überzeugung stehen, sich für andere einsetzen, mutig sein? »Man kann, und man muß«, da sind sich Lisa, Ruprecht, Tair und Jorinde mit ihren Klassenkameraden einig. »Man muß es zumindest versuchen.« Die siebzehnjährigen Schülerinnen und Schüler der Jüdischen Oberschule Berlin haben sich anläßlich der »Woche der Brüderlichkeit« im Leistungskurs Kunst mit dem diesjährigen Motto »Gesicht zeigen« befaßt, haben über Toleranz und Zivilcourage im allgemeinen, aber auch in konkreten Alltagssituationen diskutiert und künstlerisch umgesetzt.
Die Jugendlichen haben unter der Leitung von Sabine Thomasius ihren Mut, ihre Wünsche und Alltagserfahrungen in Werbeplakaten mit der Botschaft »Gesicht zeigen« ausgedrückt. Die rund fünfzehn großflächigen Werke, darunter Fotomontagen, Computergraphiken, Malereien und Comics, sind seit dem vergangenen Donnerstag in einer Ausstellung im Willy-Brandt-Haus zu sehen. »Die Durchführung von Projekten ist das eine. Die Menschen, die Gesicht zeigen, sind das andere – das Wichtigere«, erklärte Hubertus Heil, Generalsekretär der SPD, anläßlich der Ausstellungseröffnung. Rudolf Sirsch, Generalsekretär des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und Initiator der diesjährigen Kooperation mit der Jüdischen Oberschule Berlin, stimmte ihm zu. »Die Schülerinnen und Schüler haben in ihren Bildern deutlich Gesicht gezeigt, das wollen wir mit dieser Ausstellung dokumentieren.«
Doch Wunsch und Wirklichkeit kommen nicht immer zusammen – zu diesem Ergebnis kamen die Zwölftkläßler nach mehrmonatiger Beschäftigung mit dem Thema. »Es gibt zwar viele Interpretationen, aber keine Handlungsanweisung dafür, wie man Gesicht zeigen kann«, faßten sie auf der Eröffnungsveranstaltung ihre Erfahrungen zusammen. »Letztendlich ist jeder aufgefordert, seinen eigenen Weg zu finden.«
So unterschiedliche Plakatmotive sie auch gewählt haben, in einem sind sich die Jugendlichen sicher: Sie ermutigen die Betrachter zum Handeln. Ruprechts Poster zeigt ein stark vergrößertes Auge, in dem sich ein Rechtsradikaler mit Nazi-Symbolen auf der Bomberjacke spiegelt. »Das Auge bietet das Abbild dessen, was es gerade sieht. Den Effekt fand ich passend, da man den Glatzköpfen heute fast überall begegnet«, erklärt er seine Bildmontage. »Sehen Sie hin!« fordert auch Jorinde die Betrachter auf. In der Mitte ihres Bildes steht ein Kind, das starke Spuren von Mißhandlungen aufweist. An den Bildrändern sind die Gesichter von je vier Personen so angeordnet, daß sie am Kind vorbei schauen. »Besonders Kinder sind darauf angewiesen, daß wir nicht wegsehen«, kommentiert Jorinde ihr Bildmotiv. »Mein Appell richtet sich daher an Lehrer und Nachbarn, auf Kinder aus der Umgebung achtzugeben.«
Neben den Werbeplakaten der Zwölftkläßler ist in der Ausstellung eine Fotodokumentation der elften Klasse zu sehen, die auf einem Stadtspaziergang das »Gesicht« der Großen Hamburger Straße erkundet hat. Ergänzt wird die Präsentation durch Malereien der sechsten Klasse zur biblischen Esther-Geschichte, die das mutige Auftreten Esthers vor ihrem Mann, dem Perserkönig Achaschwerosch, und die damit verbundene Rettung des jüdischen Volkes darstellen. »Ich war berührt davon, wie intensiv und lebhaft sich die Schülerinnen und Schüler mit den Aspekten von Zivilcourage und eigener Verantwortung auseinandergesetzt haben«, gestand Kunstlehrerin Sabine Thomasius dem Eröffnungspublikum. »Daß ihre Arbeiten nun öffentlich zu sehen sind, ist für sie etwas Besonderes.«
Auch die Ausstellungsbesucher waren beeindruckt von dem Engagement der Schüler und Lehrer. Einige dachten spontan über weitere Formen der Präsentation nach. »Ein interkonfessioneller Kalender oder eine ›Miniatur‹ wäre eine Möglichkeit, die Arbeiten im doppelten Sinne des Wortes aufzuheben. Dafür wird man sicher Mitstreiter finden«, sagte Hermann Simon, Direktor der Stiftung Centrum Judaicum und Herausgeber der Buchreihe »Jüdische Miniaturen«. »Für die beteiligten Schüler und für nachwachsende Schülergenerationen wäre es ein Signal, daß sie nicht für die Schublade arbeiten, sondern ihr Einsatz in vielfältiger Form weiterwirkt.«
Die Ausstellung »Gesicht zeigen« ist zu sehen bis zum 15. März, im Willy-Brandt-Haus, Stresemannstraße 28, dienstags bis sonntags, 12 bis 18 Uhr, Eintritt frei.