Rembrandt van Rijn

Bilder der Nachbarn

Von Matt Shin

Dieses Jahr ist Rembrandt-Jahr. Vor 400 Jahren, am 15. Juli 1606, wurde der große holländische Künstler geboren. Das wird das ganze Jahr über mit zahlreichen Veranstaltungen gefeiert, vor allem natürlich in Amsterdam, der Stadt, wo Rembrandt den größten Teil seines Arbeitslebens verbrachte. Das Rijksmuseum zeigt seine Meisterwerke, im Van Gogh-Museum wird der niederländische Maler seinem italienischen Kollegen Caravaggio gegenübergestellt, im Juli dürfen wir uns auf Rembrandt – das Musical freuen. Zum Ab- schluß der Rembrandt-Saison im November wird das Jüdische Historische Museum die Ausstellung Der jüdische Rembrandt eröffnen.
Jüdischer Rembrandt? Nein, Jude war er nicht. Doch von allen nichtjüdischen Künstlern wird Rembrandt in Monographien über das Judentum und die bildenden Künste am häufigsten erwähnt. Er malte ungewöhnlich viele Szenen aus der jüdischen Heiligen Schrift. Er hatte viele jüdische Auftraggeber. Wenn er in seinen Werken hebräische Schriftzeichen abbildete (was er auffallend oft tat), gab er sich größte Mühe, es richtig zu machen. Darüberhinaus hinaus sehen viele Kunsthistoriker, allen voran Steven Nadler in Rembrandt’s Jews, im Werk Rembrandts einen grundlegenden Wandel in der Darstellung von Juden. Weit entfernt von den Karikaturen früherer abendländischer Kunst malte Rembrandt sie als wirkliche Menschen, und das mit großer Sensibilität.
Das Amsterdamer Jüdische Historische Museum liegt nicht weit vom Rembrandthuis in der Breestraat 4, wo der Maler viele Jahre arbeitete. Die räumliche Nähe ist kein Zufall. Dieser Stadtteil, der Vlooienburgbezirk, war sowohl das Zentrum der florierenden jüdischen Gemeinde der Stadt als auch ein Künstler- und Kunsthändlerviertel. Rembrandt war von jüdischen Menschen umgeben, hatte persönlich und beruflich mit ihnen zu tun. Für seinen Freund Rabbi Menasse ben Israel illustrierte er dessen Buch Piedra Gloriosa. Auch der Vater des Philosophen Baruch de Spinoza gehörte zu Rembrandts Bekannten.
Ben Israel und Spinoza waren wie fast alle Amsterdamer Juden Sefarden, die vor der Inquisition aus Spanien und Portugal geflohen waren. In der niederländischen Handelsstadt genossen sie ein Maß an Toleranz, das seinerzeit einmalig war in Europa. Zwar besaßen Juden auch hier keine vollen Bürgerrechte und durften nicht in Gewerben arbeiten, die den Gilden vorbehalten waren. Öffentliche Ämter waren ihnen verwehrt. Es war ihnen untersagt, Christen zu heiraten oder als Bedienstete zu haben. Doch sie konnten offen als Juden leben und ihre Religion frei ausüben, ein damals seltenes Privileg. Juden mußten keine Kennzeichen tragen, wie es anderswo in Europa üblich war. Das Vlooienburgviertel war kein Ghetto, seine Bewoh- ner konnten kommen und gehen, wie es ihnen gefiel. Die jüdische Gemeinde besaß Rechtsautonomie. Rabbiner durften Trauungen durchführen, zivilrechtliche Streitigkeiten konnte die Gemeinde nach eigenen Regeln klären.
Noch etwas zeichnete die Amsterdamer Juden aus: Sie kauften Kunst. Offensichtlich legten sie das mosaische Bilderverbot liberaler aus als viele ihrer damaligen Glaubensgenossen. Die Amsterdamer sefardischen Kaufleute zählten zu den bedeutendsten Sammlern ihrer Epoche. Der Diamantenhändler Alphonso Lopez etwa erlaubte Rembrandt, von seinen Tizian- und Raffael-Gemälden Studien anzufertigen und gab bei ihm ein Gemälde in Auftrag: Balaams Esel rügt seinen Herrn. Lopez war nicht Rembrandts einziger jüdi- scher Auftraggeber. Das erklärt, warum es in seinem Werk so viele Abrahams und Hagars, Tobits und Daniels, Jakobs und Balaams gibt. Auch der berühmte Kupferstich Abraham und Isaak von 1645 wurde wahrscheinlich von einem jüdischen Kunden bestellt
Natürlich war Rembrandt nicht der einzige Künstler seiner Epoche, der Szenen aus dem jüdischen Leben und der Bibel abbildete. Was ihn von anderen Malern aber unterscheidet, ist die Kenntnis jüdischer Tradition und Lehre, die in seinen Bildern sichtbar wird. Für sein Gemälde Das Fest des Belsazar (wahrscheinlich ebenfalls von einem jüdischen Mäzen in Auftrag gegeben) holte Rembrandt offenbar rabbinischen Rat ein – wahrscheinlich bei Menasseh ben Israel. Die aramäisch-hebräische Inschrift »mene mene tekel upharsin« jedenfalls ist bei ihm so angebracht, daß sie vertikal gelesen werden muß – ganz so, wie es in der rabbinischen Auslegung der entsprechenden Bibelstelle steht. Die meisten anderen abendländischen Künstler verwendeten bei der Darstellung dieser Szene schlicht eine horizontale lateinische Inschrift. Auch bei an- deren biblischen Szenen gab Rembrandt der jüdischen Tradition den Vorzug gegenüber der in der abendländischen Kunst gängigen Bildsprache. So stellte er zum Beispiel Moses mit zwei Gesetzestafeln dar, statt, wie es üblich war, mit einem Stein, der in zwei »Seiten« geteilt wurde.
Doch worin sich Rembrandt radikal von der westlichen Malerei vor ihm unterscheidet, ist in seiner Darstellung von Juden selbst. Die mittelalterliche Kunst kannte eine spezielle Ikonografie, um Außenseiter abzubilden. Gelbe Kreuze zum Beispiel kennzeichneten oft christliche Häretiker. Juden wurden häufig mit spitzen gelben oder roten Hüten und gelben Abzeichen dargestellt. Um die Dämonisierung zu steigern, wurden sie zudem gern als grotesk häßlich gezeigt. Diese äußere Häßlichkeit war das Gegenstück zu ihren spirituellen »Defekten« als »Gottesleugner« und »Christusmörder«. In zahlreichen Museen findet man Gemälde, auf denen Juden mit hervorquellenden Augen, dicken Lippen und Hakennasen zu sehen sind, womit sie gleichzeitig dumm, lichtscheu und durchtrieben wirken.
Ganz anders Rembrandt. Seine Juden sehen aus wie andere Menschen auch. In vielen Fällen wissen wir nicht einmal, ob die Dargestellten tatsächlich jüdisch waren. Einige Werke wie Eine Jüdin und Porträt eines jungen Juden haben ihren Titel nicht von Rembrandt selbst, sondern werden traditionell so genannt, ohne daß man weiß, wie die Bezeichnung ursprünglich zustande kamen. Auch bei der berühmten Jüdischen Braut gibt es wenige zwingende Beweise für die Stimmigkeit des Titels. Andere jüdische Verweise in Porträttiteln gründen auf Details, wie Büchern, die mit dem Rücken nach rechts stehen, als würden sie von rechts nach links gelesen. In einigen Fällen allerdings ist die jüdische Identität des Dargestellten einwandfrei belegbar, etwa bei dem Porträt von Dr. Ephraim Bueno. Auch das Porträt eines jungen Juden in den Staatlichen Museen in Berlin zeigt eindeutig einen Mann, der eine Kippa trägt.
Einige Kunsthistoriker haben Rembrandt ein besonderes Einfühlungsvermögen für jüdische Menschen attestiert, vor allem bei der Wiedergabe von Gesichtern. Darüber ließe sich streiten: Die subtile Psychologie der Porträts ist nicht etwas, was bei Rembrandt bestimmten Menschengruppen vorbehalten ist; er wendet sie bei allen an. Rembrandts Juden werden nicht anders dargestellt als Christen. Das ist das Revolutionäre. Rembrandt änderte das Bild der Juden in der abendländischen Kunst. Er porträtierte jüdische Menschen so, wie sie waren.

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