von Veronique Brüggemann
und Katrin Richter
»Urlaubsbedingt ist die Praxis bis zum 14. September geschlossen.«, sagt die freundliche männliche Stimme auf dem Anrufbeantworter der Praxis des Würzburger Internisten Josef Schuster und nennt den Namen der Vertretung. Es ist mitten in der Woche. Auch in der Apotheke von Jacques Marx in Duisburg erledigt eine Vertretung die Arbeiten, die gewöhnlich er selber übernimmt. Es ist Rosch Haschana. Und für den Mediziner und den Apotheker ist es selbstverständlich, dass sie an diesen Tagen nicht arbeiten. Doch weil sowohl Rosch Haschana wie auch Sukkot nicht auf ein Wochenende fallen, sondern von Mittwochabend und bis Freitag andauern, haben sie sich freigenommen.
Jedes Jahr die gleiche Herausforderung: Eine Vertretung organisieren und die Kinder von der Schule befreien. Damit hatten die Schusters, als ihre Kinder noch zur Schule gingen, keine Probleme. Denn das Grundgesetz garantiert die freie Religionsausübung. Zwar ist dies je nach Bundesland anders geregelt, einheitlich ist aber, dass alle Schüler frei bekommen.
Duisburg ist die fünftgrößte Stadt Nordrhein-Westfalens, wo das Freistellen jüdischer Schüler an öffentlichen Schulen besonders unkompliziert geregelt ist. Die Erfahrung hat auch Marx gemacht: »Wir fragen nicht lange nach. Die Kinder haben einen Brief mitbekommen, in dem steht, dass sie am Donnerstag nicht kommen. Das wurde bisher immer akzeptiert.« Die Lehrer sind über die Feiertage informiert und einmal beantragt, gilt die Beurlaubung für den Rest der Schulzeit. Das Ministerium hat darüber hinaus beschlossen, dass an religiösen Feiertagen keine Prüfungen angesetzt werden, damit es problemlos möglich ist, frei zu nehmen.
Rund 500 km weiter östlich, in Berlin, hat der Urologe Jakob Steinmann seine Praxis. Über die Feiertage nimmt er sich nicht frei: »Ich bin da etwas unkonventionell«, sagt er. Bei seinen Kindern sei das sowieso geregelt, denn die gehen auf eine jüdische Schule.
Viele Bundesländer haben sich mit den Landesverbänden der jüdischen Gemeinden abgesprochen und genau festgelegt, wie lange Schüler an welchem jüdischen Feiertag freihaben. So gewähren die Kultusministerien in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, im Saarland und in Rheinland-Pfalz an Rosch Haschana zwei Tage, an Jom Kippur einen Tag, an Pessach zwei bis vier Tage und für Sukkot, Schmini Azeret, Simchat Tora und Schawuot keinen beziehungsweise einen oder zwei Tage.
Auch Hamburg unterscheidet zwischen Rosch Haschana, Jom Kippur und Pessach als höchste Feiertage und »weiteren wichtigen Festen«, für die die Beurlaubung gesondert beantragt werden muss. Die Entscheidung trifft dann der Klassenlehrer oder die Schulleitung.
In Schleswig-Holstein regelt der Staatsvertrag, dass zum Beispiel Angestellte, wie der Bad Segeberger Hauptkommissar Walter Blender, zu den jüdischen Feiertagen frei bekommen. »Das ist eine ganz harmonische Regelung.«, sagt er, denn für ihn ist es umgekehrt ganz selbstverständlich, dass er an den christlichen Feiertagen, an denen seine Kollegen frei nehmen möchten, arbeitet. Den Schülern im nördlichsten Bundesland wird, laut Schulordnung »Gelegenheit gegeben, am Gottesdienst teilzunehmen.« Als stillschweigende Übereinkunft gilt, dass die Schüler dann nicht zu Hause bleiben, sondern auch wirklich zum Gottesdienst gehen.
Die freien Tage werden zwar nicht als Fehlzeit angerechnet, um die versäumten Aufgaben in Bio, Mathe und Physik kommen die Schüler aber nicht drum herum. Der Stoff muss eigenständig nachgeholt werden. Mitten in der Woche Urlaub zu bekommen, bedeutet nicht frei zu haben.