von christine Schmitt
und Detlef D. Kauschke
Masel Tow. Die Segenssprüche sind gesagt, der Bräutigam hat seiner Braut den Ring an den Finger gesteckt, das Glas ist zertreten. Inbal Cohen und Sharon Levy stehen Hand in Hand unter der Chuppa, während Rabbiner Yehuda Teichtal zum Schluß der Trauungszeremonie ihren sehnlichsten Wunsch in Worte faßt: »Refuah Schlemah für Channa Chaja bat Inbal«, baldige Genesung für die Tochter der Braut, die kleine Channi.
Das zweieinhalbjährige Mädchen ist schwer herzkrank. Vor gut vier Wochen kam sie mit ihrer Mutter in der Hoffnung auf eine lebensrettende Operation nach Berlin, ins Deutsche Herzzentrum. Schon im Vorfeld hatte sich auch die Israelische Botschaft eingeschaltet. Der Gesandte Gad Lahad hatte mit dem Krankenhaus Kontakt aufgenommen, von Berlin aus auch schon mal die notwendigen Formalitäten erledigt und sich – wie immer in derartigen Fällen –mit Yehuda Teichtal von Chabad Lubawitsch in Verbindung gesetzt. Der Rabbiner sorgt mit seiner Frau Leah und seinem ganzen Team für den in den schweren Stunden für Patienten und Angehörige so wichtigen religiösen Beistand, schafft koscheres Essen herbei, organisiert Transporte, Kinderbetreuung, Spielzeug und was sonst noch gebraucht wird.
»Wir freuen uns, wenn wir helfen können. Das ist eine große Mizwa«, sagt Teichtal über den Einsatz, der vielfach weder ihm noch den anderen Helfern leicht fällt. Denn in vorausgegangenen Fällen konnte den Schwerstkranken auch im Herzzentrum nicht mehr geholfen werden. Erst vor zwei Wochen verstarb dort eine 29jährige israelische Patientin. »Um so wichtiger ist, daß Rabbiner Teichtal sie begleitet«, betont der Gesandte Gad Lahad. »Die Leute kommen hier in der schwersten Stunde ihres Lebens in eine fremde Stadt, und sie brauchen einfach Hilfe.«
»Ich kann gar nicht sagen, wie dankbar wir für die Unterstützung sind«, sagt Inbal. Tag und Nacht wacht sie am Bett ihrer kleinen Tochter und macht sich große Sorgen. »Es ist sehr anstrengend und sehr deprimierend.« Derzeit ist Channis Oma auch da und löst Inbal immer mal wieder am Krankenbett ab.
Als Channi drei Monate alt war, diagnostizierte ihr Arzt einen Herzfehler. Seine Prognose: Sie werde ihren ersten Geburtstag nicht erleben. Doch Channi und ihre Mutter geben so leicht nicht auf. Das Mädchen bekommt Medikamente, damit das Herz besser arbeitet. »Aber die können sie nicht wieder gesund machen«, das ist Inbal klar. »Sie hat angeborene kranke Herzmuskeln, erschwerend kommt hinzu, daß eine Herzklappe nicht richtig schließt«, erklärt einer der behandelnden Ärzte der Kinderstation des Herzzentrums, Haschin Abdulkhalig. Das komme bei Kindern sehr selten vor. Die Arbeit, die das kleine Herz noch schafft, reicht langfristig nicht aus. So ist Channi zu schwach, um selber zu essen, und sie hat einfach keine Kraft, um zu sprechen oder zu laufen. Sie ist zu klein für ihr Alter und mit ihren neun Kilo Gewicht auch zu dünn. In diesen Tagen muß sich die Familie für eine Operation entscheiden. Neben einer Transplantation gibt es noch eine weitere Möglichkeit, bei der die Undichtigkeit der linken Herzklappe operativ geschlossen wird. »Es ist ein großes Risiko«, sagt die Mutter. Die andere Option ist, sie sofort für eine Herztransplantation anzumelden. Sechs bis neun Monate dauert es im Durchschnitt, bis ein geeignetes Organ zur Verfügung stehe, sagt Pressesprecherin Barbara Nickolaus. Das Herzzentrum habe im vergangenen Jahr alleine 70 Herztransplantationen durchgeführt. »Ich bin optimistisch, daß bei Channi alles gut geht«, sagt ihr Arzt.
Channi und ihre Mutter kommen aus einem Moschaw nahe Rehovot. Inbal ist dort Kindergärtnerin, hat aber inzwischen ihren Arbeitsplatz verloren. Vor einiger Zeit lernte die 29jährige nach einer Scheidung den 35jährigen Tel Aviver Jurastundenten Sharon Levy kennen und lieben. Mit ihm wollte sie einen neuen Anfang machen. Ihre Hochzeit war für Ende September geplant, alles stand fest, selbst der Saal in Rehovot war schon reserviert. Dann verschlechterte sich der Zustand der kleinen Channi. Sie mußte ins Krankenhaus. »Zwei Wochen bis drei Monate habe sie noch zu leben, lautete die Prognose«, sagt Inbal. Nur eine Transplantation im Ausland könne das Kind vielleicht noch retten, so die Auskunft der Ärzte. Channi kam mit ihrer Mutter nach Berlin. Die Hochzeit war längst abgesagt.
Seit ihrer Ankunft in Deutschland stand Sharon telefonisch mit Inbal in Kontakt. »Dabei kam mir die Idee, die Hochzeit in Berlin abzuhalten.« Kurzerhand reiste auch er nach Deutschland. Unterdes-
sen sorgte Teichtal, sogar mit Hilfe des Tel Aviver Oberrabbiners Israel Meir Lau, für die notwendigen Papiere für die Eheschließung. Was sonst Wochen oder Monate braucht, ging hier innerhalb von drei Tagen über die Bühne. Der Hochzeitsvertrag wurde aufgesetzt, schnell einige Mitarbeiter der Botschaft und Beter der Synagoge für den Minjan herbeigerufen. Am Mittwoch vergangener Woche konnte die Hochzeit stattfinden. Selbst der Sprecher der Botschaft, Amit Gilad, und der Vertreter der Jewish Agency, Igal Greenstein, waren zur Trauungszeremonie ins Chabad-Haus an der Münsterschen Straße geeilt. Sie beteten, sangen und tanzten mit. Und wie die Brautleute und alle Gäste hoffen sie nun, daß in Erfüllung geht, was Rabbiner Teichtal den Frischvermählten unter dem Hochzeitsbaldachin mit auf den Weg gab: »Möge es Inbal und Sharon vergönnt sein, eines Tages auch auf der Hochzeit ihrer Tochter Channi tanzen zu können.«