von Yitzhak Ahren
Am Jom Ha’atzma’ut des Jahres 1956 hielt der Mentor der modernen amerikanischen Orthodoxie, Rabbiner Joseph B. Soloveitchik (1903 - 1993), eine Rede, die er später zu einem längeren Essay ausbaute. 1961 ist der Text unter dem Titel Kol Dodi Dofek (Die Stimme meines Geliebten – er klopft) in einem israelischen Sammelband erschienen. Jetzt ist David Gordons Übersetzung ins Englische erschienen, die Soloveitchiks Gedanken auch einem breiteren nicht hebräischkundigen Publikum zugänglich macht.
Der Text ist 50 Jahre alt. Überholt ist er aber nicht. Einzelne Stellen verraten zwar die Entstehungszeit der Reflexionen, aber diese haben ihre Frische bewahrt. Es geht dem Verfasser nämlich um grundlegende Fragen, die stets aktuell bleiben. Soloveitchik behandelt religionsphilosophische, historisch-politische sowie halachische Fragen. Sein Essay beginnt mit einer Erörterung des Problems des Leidens in dieser Welt. Der Standpunkt des Judentums wird anhand einer konzisen Analyse des Buches Hiob verdeutlicht. Statt nach dem Grund des Schicksals zu forschen, so Soloveitchik, soll der Betroffene fragen, welche Reaktion auf seine Lage angemessen sei. Leiden sollten den Menschen dazu bringen, sich zum Positiven hin zu wandeln.
In der Entstehung des Staates Israel erkennt Soloveitchik Gottes Wirken in der Geschichte. Er arbeitet die Bedeutung des seit 1948 unabhängigen Staates für die Juden heraus und fordert von seinen Glaubensgenossen in der Diaspora ein größeres Engagement für die Sicherung seiner Existenz. Die Position des religiösen Zionismus wird dargelegt, Thesen jüdischer Säkularisten einer Kritik unterzogen.
Für Soloveitchik besteht die Aufgabe des Staates Israel darin, die Schicksalsgemeinschaft der Juden in eine Gemeinschaft mit einer gemeinsamen Bestimmung zu transformieren. Schicksal bedeu- tet Unentrinnbarkeit und Zwang, Bestimmung hingegen verweist auf eine frei gewählte Lebensform, die Sinn und Bedeutung hat. Diese Vorstellung einer gemein- samen Bestimmung entspricht, wie Soloveitchik ausführlich erklärt, dem Bund, der am Berg Sinai geschlossen wurde.
rabbi joseph b. soloveitchik:
kol dodi dofek
Ktav Publishing House, Jersey City 2006, 114 Seiten, 14,95 US-$