von Sue Fishkoff
Seit eine Studie 1990 zeigte, dass mehr als die Hälfte der in den USA neu geschlossenen jüdischen Ehen mit einem nichtjüdischen Partner eingegangen wurden, ha-
ben sich zahlreiche Repräsentanten der jü-
dischen Gemeinschaft mit der Zähigkeit eines Kampfhunds in die Sache verbissen. Doch nun werfen neue Untersuchungen neue Fragen auf: Bedeutet Mischehe zwangsläufig, dass die Verbindung der be-treffenden Familie zum Judentum gekappt ist? Oder kapriziert sich die jüdische Ge-
meinschaft auf die Mischehen, um sich nicht mit anderen, vielleicht aufschlussreicheren Faktoren befassen zu müssen?
In den meisten der Studien werden die Daten schlicht miteinander verglichen, und im Ergebnis wird festgestellt, dass in-
terreligiöse Familien viel weniger am jüdischen Leben beteiligt sind als rein jüdi-sche – was sowohl auf den Glauben als auch auf die Lebensführung zutrifft.
Eben diese Methode und die von ihr hervorgebrachten Ergebnisse werden jetzt von einer Untersuchung der Brandeis University in Frage gestellt. Die Untersuchung – von Leonard Saxe, Fern Chertok und Benjamin Phillips vom Cohen Center for Jewish Studies and Steinhardt Social Research Institute – fand heraus, dass sich der Unterschied zwischen Mischehe und rein jüdischen Familien beträchtlich vermindert, sobald man die Frage einbezieht, wie jüdisch der jüdische Partner in einer Mischehe vorher gelebt hat.
Statt also die auf einer Mischehe ge-
gründeten Familien abzuschreiben oder auf den nichtjüdischen Partner Druck auszu-üben, zu konvertieren, wäre die jüdische Gemeinschaft besser beraten, in eine erstklassige – schulische und außerschulische – jüdische Erziehung zu investieren, meinen die Autoren. »Das Ziel muss nicht unbedingt Konversion sein, sondern die Schaffung positiv besetzter, reicher jüdischer Erfahrungen«, erläutert Leonard Saxe. »Jüdische Erziehung, jüdisches Erleben zu Hause, jüdisches Ferienlager, Erfahrungen in Israel – das ist es, was zu einem jüdischen Engagement führt, ganz gleich, ob jemand in einer Mischehe lebt oder nicht.«
Der einfache Vergleich, den die meisten Umfragen verwenden, sagt aus, dass 89 Prozent der Erwachsenen, die mit zwei jüdischen Elternteilen aufwuchsen, sich als jüdisch identifizieren – versus 24 Prozent der Erwachsenen, die in einem interreligiösen Zuhause aufgewachsen waren. Doch wurde der Hintergrund der Befragten in Rechnung gestellt, schrumpfte die Lücke auf 94 Prozent der Erwachsenen mit zwei jüdischen Elternteilen versus 76 Prozent aus Mischehen.
»Die Mischehe bedingt nichts zwangsläufig«, folgert Saxe. »Wenn jemand mit einer positiven jüdischen Identität und jüdischen Erziehungserfahrungen aufwächst, etwa Religionsschule, Ferienlager oder Reisen nach Israel, will er seine Kinder jüdisch erziehen, ganz gleich, in wen er sich verliebt.«
Zu denen, die diese Argumentation nicht überzeugt, gehört Steven Cohen, Professor für Jüdische Sozialpolitik am He-
brew Union College in New York. Cohen hat eine Reihe von Untersuchungen durchgeführt, die sämtlich die unabwendbaren Folgen von Mischehen belegen. Seine erste Frage lautet, wie die Forscher »jü-
disch aufwachsen« definieren. Als Zweites gibt er zu bedenken, dass auch die nächste Generation in den Blick genommen werden müsse: Laut der NJPS-Untersuchung (National Jewish Population Study) von 2000/2001 identifizieren sich lediglich 13 Prozent der Enkelkinder einer Mischehe – das heißt, Menschen, deren Großeltern in einer Mischehe lebten – als Juden. Allein aus diesem Grund, erklärte Cohen, sollte sich die jüdische Gemeinschaft in Hinblick auf Mischehen »nicht der Selbstzufriedenheit hingeben«, sondern fortfahren, sie als tatsächliche Bedrohung des jüdischen Fortbestands zu bekämpfen. »Tatsächlich sind Mischehen über zwei Generationen ein entscheidender Faktor für die Prognose über das religiöse Leben und ganz be-
stimmt für die Prognose darüber, ob die Enkelkinder jüdisch sein werden«, sagte er.
Diese Schlussfolgerung Cohens wird von einem neuen Bericht über die amerikanisch-jüdische Bevölkerung teilweise ge-
stützt, den die Professoren Ira Sheskin von der University of Miami und Arnold Dashefksy von der University of Connecticut für das American Jewish Yearbook 2007 verfassten. Sheskin und Dashefksy verglichen die Daten aus 49 jüdischen Ge-
meinden und stellten fest, es sei ohne je-
den Zweifel richtig, »dass die Mischehe eine negative Wirkung auf das Maß des Jü-
dischseins und daher auf das jüdische Fortbestehen hat«, auch wenn einige Städte »erfolgreicher als andere dabei sind, die Mischehe-Familien davon zu überzeugen, ihre Kinder jüdisch zu erziehen«. Die Mischehe löst einen Schneeballeffekt aus, so das Fazit, aber der Ball kann in beide Richtungen rollen, und viel hängt von der größeren jüdischen Gemeinschaft ab.
Sheskin und Dashefksy haben gerade eine Untersuchung in Portland, Maine, ab-
geschlossen, die belegt, dass die Stadt das höchste Niveau an Mischehen von allen untersuchten Städten aufweist: 61 Prozent. Davon allerdings haben sich 47 Prozent entschieden, ihre Kinder in der jüdischen Tradition zu erziehen. In Detroit hingegen, mit einem Mischehe-Niveau von nur 17 Prozent, ist es eine vergleichsweise geringe Anzahl, nämlich 31 Prozent, die ihre Kinder als Juden erziehen wollen.
Vielleicht, argumentiert Sheskin, sieht eine Gemeinde wie die von Detroit aufgrund der niedrigen Mischehe-Quote keinen Grund, auf die betroffenen Familien zuzugehen. Folge ist, dass nur wenige Mischehe-Familien einer Synagoge angehören. Andere besuchten vielleicht die Synagoge und »sehen niemanden, der wie sie aussieht, und fühlen sich unbehaglich«.
An dieser Stelle kommen die Combined Jewish Philanthropies (CJP) ins Spiel. Laut Gil Preuss, Vizepräsident für Strategie und Planung, ist seine Organisation weniger an einer Debatte über Untersuchungsmethoden interessiert als daran, herauszufinden, wie sich die Bemühungen der Ge-
meinde und jüdische Erziehung tatsächlich zueinander verhalten. Die CJP verursachten im November 2006 einen Wirbel, als sie eine Umfrage des Steinhardt Institute veröffentlichten, die nachwies, dass im Großraum Boston 60 Prozent der Kinder aus Mischehen als Juden erzogen werden. Preuss räumt ein, dass ihm und seinen Kollegen diese Zahlen anfangs ver-
dächtig erschienen. Was bedeuteten sie ei-
gentlich? Lebten diese Menschen wirklich ein jüdisches Leben? Oder behaupteten sie es nur, vielleicht weil sie wussten, dass es sich um eine jüdische Untersuchung handelte? Also verglichen er und sein Team die Daten genauer und beleuchteten insbesondere die Antworten auf konkrete Fragen zu jüdischem Glauben und Verhalten. Laut Preuss stellten sie dabei fest, dass Mischehe-Familien, die sich für eine jüdische Erziehung ihrer Kinder entschieden haben, sich von anderen, nichtorthodoxen jüdischen Familien nur wenig unterscheiden. »Sie gehören einer Gemeinde an, sie feiern jüdische Feiertage, sie nehmen am Gemeindeleben teil«, sagte er. »Das ist der Schlüsselmoment – wenn Sie sich entscheiden, die Kinder jüdisch zu erziehen. Alles andere folgt daraus.«
Die Mischehe an sich, das legt die Um-
frage nahe, ist nicht der entscheidende Faktor. Dieser Befund wird sich auf die praktische Politik auswirken, meint Preuss. »Auf der Grundlage dieser Untersuchung können wir die Gemeinschaft so gestalten, dass sie solche Familien willkommen heißt, eine Gemeinschaft, die sagt: Es gibt gute Dinge hier – jüdische Werte, jüdische Erziehung.«
Rabbi Kerry Olitzky ist Direktor des Je-
wish Outreach Institute, einer Organisation, die jüdische Einrichtungen dabei unterstützt, solche Menschen mit offenen Armen aufzunehmen. Nicht immer ist es möglich, meint er, aus den Daten ein klares Ergebnis zu erhalten. »In einer Gemeinde haben Sie Mischehe-Paare mit einer stabilen jüdischen Identität und jüdischer Erziehung, die sich aber nicht am jüdischen Leben beteiligen«, sagte er. Es komme da-rauf an, was der Einzelne für geeignet hält, ihm ein besseres, reicheres Leben zu ermöglichen. »Als Elternteil«, sagte Olitzky, »treffen Sie eine Entscheidung auf der Grundlage dessen, was für Sie und Ihre Familie gut ist, nicht auf der Grundlage dessen, was für das Judentum gut ist.«