von Christine Schmitt
Stille. Dirk Michael umfaßt mit beiden Händen das Lenkrad des kleinen Schulbusses, lehnt sich ein bißchen vor, schaut in Richtung Himmel und wartet in aller Ruhe auf die Grünphase der Ampel. Es wird ein heißer, sonniger Tag, ist seine Prognose. Noch ist wenig los auf den Straßen, schließlich ist es noch weit vor sieben Uhr. »Im Sommer ist es ganz schön, so früh über den Asphalt Berlins zu fahren, aber im Winter ist es um diese Zeit stockduster und deprimierend«, sagt der 36jährige. Eine halbe Stunde ist er bereits unterwegs und hält nun zum ersten Mal an, um die ersten Schüler der Heinz-Galinski-Schule abzuholen.
Er ist zu früh dran und stellt den Motor des kleines Busses ab. »Oh je«, sagt er, »die beiden haben verschlafen.« Das sehe er ihnen auf den ersten Blick an. Er steigt aus, geht ihnen entgegen und nimmt die Schulranzen ab, um sie hinten im Bus zu verstauen. Noch nicht ganz wach, klettern beide ins Auto. Am nächsten Halt steht ein Zehnjähriger mit seiner Mutter an der Straße und wartet. Ein kurzes Hallo, dann steigt er ein. Alle schweigen. »Habt ihr heute auf die Benimmtaste gedrückt«, fragt Dirk Michael und schaut sie im Rückspiegel forschend an. Keine Antwort.
Neun Busse sind täglich im Einsatz, um die Schüler der Heinz-Galinski-Schule abzuholen und pünktlich zum Unterricht und wieder nach Hause zu bringen. Seit 22 Jahren managt Harald Frankenberg mit seinem Schulbusunternehmen die Touren. Auf etlichen Routen gebe es wechselnde Fahrer. »Aber der Dirk ist mit seiner Strecke verheiratet«, meint Frankenberg.
Eigentlich wollte er nur einen Job machen, um sich sein Studium weiter finanzieren zu können. Eine Freundin hatte ihm diesen Tip gegeben. »Für Studenten ist es optimal, weil man so früh am Morgen fertig ist und rechtzeitig zu den Vorlesungen gehen kann«, sagt Dirk Michael. Seit sieben Jahren fährt er nun von Montag bis Freitag zur Heinz-Galinski-Schule – und das Germanistik- und Nordamerika-Studium hat er schweren Herzens aufgegeben. Seine Schulbusstrecke fährt er mittlerweile so routiniert, daß er sie neulich sogar aus Versehen am Wochenende gefahren ist, als er ganz woanders hin wollte. Von seinem Fahrergehalt allein kann er nicht leben, deshalb gibt er noch Nachhilfeunterricht. »Ich würde gerne eine Nachhilfeschule aufmachen«, sagt der 36jährige. Ihm bringt das Zusammensein mit Kindern eben sehr viel Spaß.
Rumms – die Tür wird mit einem Ruck aufgeschoben. Als erstes kommt der Ball ins Auto und dann ein siebenjähriger Junge im Wilde-Kerle-Trikot. »Was ist denn das für ein Ball«, fragt der Fahrer die Schüler. »Teamgeist, das ist der Ball der WM« – das weiß hier jeder. Ob denn der verloren- gegangene Ball von neulich wieder aufgetaucht sei, will Dirk Michael wissen. Vor der Schule hatte er vor ein paar Tagen einen Jungen beobachtet, der vollkommen verzweifelt war, weil sein Ball verschwunden war. Dirk informierte die anderen Fahrer, und die wiederum besprachen den Vorfall mit »ihren« Kindern und forderten sie auf, sich auf die Suche zu begeben. Wer etwas gesehen habe, solle sich melden. »Es war ein Detektivspiel mit vielen Beteiligten«, sagt Dirk. »Der Ball wurde in einer Mülltonne gefunden«, weiß ein Mädchen.
Keine Ruhe mehr. Die Kinder werden immer munterer. Ein weiteres Mädchen steigt ein. »Dirk, der hat mich beschimpft!« »Dirk, der sagt mir alles nach und das nervt mich!« »Dirk, der ärgert mich!« Viel kann Dirk Michael allerdings nicht machen, schließlich muß er fahren. Nur Verwarnungen könnte er im Notfall aussprechen, die werden dann von der Schule an die Eltern weitergeleitet. Wer drei hat, wird eine Woche lang vom Schulbus nicht mitgenommen. »Habe ich aber noch nie gemacht.«
»Ich bin Erzieher, Dompteur, Stilberater, Quizmaster, DJ, Eis- und Brötchenbeschaffer und Fahrer«, sagt er grinsend. Man müsse sich immer wieder etwas ausdenken, um die Kinder zu beschäftigen. Schließlich säßen alle im Bus auf engsten Raum zusammen. Jetzt sei die Fußball-WM Gesprächsthema Nummer eins. Nachmittags komme es schon mal vor, daß die Schüler frustriert oder enttäuscht seien. Da helfe dann ein Gang zum Bäcker oder eben Eis. »Kaugummi muß man als Fahrer auch immer dabei haben, der kann bei Streitereien schon mal helfen.«
Es ist laut. Man versteht kein Wort mehr. »Das machen die jeden Tag so«, sagt eine Erstklässlerin und lacht schüchtern. Dirk Michael ist ganz entspannt – schließlich sind es nur noch wenige Meter bis zur Schule. Rumms macht es wieder. Die Kinder springen raus. Er reicht ihnen die Schulranzen und sie rennen in die Schule. Wenn Dirk Michael dann gegen halb neun wieder zu Hause ist, macht er sich erst einmal einen Kaffee und liest die Zeitung. Ganz in Ruhe.