von Tobias Kaufmann
Das Signal ist gesetzt. Integration soll kein negativ besetztes Randthema mehr sein, sondern ein Politikschwerpunkt. Drei Stunden lang saßen dafür fast neunzig Politiker, Verbandsverteter und einzelne Migranten und Experten am vergangenen Freitag im Bundeskanzleramt zusammen – ein Treffen so hochkarätig besetzt, daß es gleich den Titel »Gipfel« erhielt, Integrationsgipfel. Auch wenn dies Kritikern ein bißchen viel der Symbolik war, die grundsätzliche Botschaft der Politik ist bei den Teilnehmern angekommen. »Es war ein Zeichen von gutem Willen, aber sicher auch ein Eingeständnis, daß es bei dem Thema in der Vergangenheit Versäumnisse gab«, sagte Dieter Graumann nach dem Treffen. Für den Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland steht zwar außer Frage, daß der Gipfel nur ein »Beginn vom Beginn« gewesen ist, dennoch hat er positive Erkenntnisse gewonnen. »Es war schon interessant, wie sehr beispielsweise türkische Vertreter sich als deutsche Bürger verstehen.« Umso wichtiger sei es, daß die Politik die Erkenntnis, daß Zuwanderung ein Gewinn ist und nicht vor allem Belastung und Bedrohung, in die Gesellschaft trage.
Diese Hoffnung überstrahlte auch ein Treffen von Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs), die sich auf Einladung des American Jewish Committee (AJC) einen Tag vor dem Gipfel in Berlin getroffen hatten. Rund dreißig Vertreter von islamischen, jüdischen, afrikanischen und anderen Migrantenorganisationen diskutierten in den Räumen des AJC mit Experten ihre eigenen Erfahrungen mit deutscher Politik und Gesellschaft. Sehr emotional sei es zugegangen, sagte Feliks Byelyenkov vom Landesverband der jüdischen Gemeinden Brandenburg. Vor allem fehlender Respekt vor den Leistungen von Zuwanderern wurde beklagt. »Es wäre schön, wenn mehr positive Beispiele von Einwanderern in den Medien auftauchen würden«, forderte Freweyni Habtemariam vom Afrika-Rat. Integration dürfe keine Einbahnstraße sein, sondern ein Austausch zwischen Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten. Man werde nach wie vor als »defizitäre Gruppe« wahrgenommen, sagte auch Turgut Yüksel vom Netzwerk Türkeistämmiger Mandatsträger in Frankfurt am Main. Er bemängelte, daß in der Politik das Thema Sprachkenntnisse überbewertet werde. »Spracherwerb allein ist doch noch keine Integration.« Während über Detailfra- gen wie die Forderung nach dem Umbau des dreigliedrigen Schulsystems viel diskutiert wurde, waren sich die NGOs in einem vollkommen einig: Klagen und Jammern ist keine Lösung. Statt dessen sei En- gagement gefragt.
Eine Ansicht, die auch Dieter Graumann beim Gipfel vertrat. Eine Erfahrung des Zentralrats mit der Zuwanderung von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion sei, daß man fehlende staatliche Mittel durch persönliche Anstrengungen kompensieren müsse. »Wenn das Engagement für Integration in der gesamten Gesellschaft ähnlich groß wäre wie in den jüdischen Gemeinden, dann wären wir in Deutschland sicher weiter.« Die Gipfel-Teilnehmer sollen nun in kleineren Gruppen weiterarbeiten, vermutlich in einem halben Jahr ist ein nächstes Treffen geplant. Aus einem Signal soll politisches Tagesgeschäft werden.