von Anjana Shrivastava
und Pierre Heumann
Präsident Barack Obama scheint den ersehnten Frieden zwischen Israelis und Palästinensern im 21. Jahrhundert erzwingen zu wollen. Angesichts dieses Zieles stehen plötzlich die Gepflogenheiten zwischen Washington und Jeru- salem der vergangenen Jahre reihenweise zur Disposition. Fast triumphierend trat Vizepräsident Joe Biden vor der pro-israelischen Lobbygruppe AIPAC auf, um den Unterstützern des jüdischen Staates in Washington ins Gesicht zu sagen, »was sie nicht hören wollen«. Israel wird gebeten, seine Atombewaffnung im Rahmen internationaler Abkommen infrage zu stellen. Und Obama empfängt Jordaniens König Abdullah, bevor er Benjamin Netanjahu im Weißen Haus die Hand gegeben hat. Vielleicht sind dies alles bloß diplomatische Nadelstiche. Aber es sind die Nadelstiche einer Supermacht, die nebenbei auch der engste Verbündete Israels ist.
Diesen neuen Zustand des diplomatischen Drucks halten die Optimisten unter Amerikas Nahostbeobachtern durchaus für konstruktiv. Sie betonen den Pragmatismus Netanjahus; dieser habe die Notwendigkeit begriffen, amerikanischen Initiativen zu folgen und sich nicht offen zu widersetzen.
Derselbe Druck macht die amerikanischen Pessimisten dagegen eher nervös. Für sie geht es um einen Überlebenskampf des Staates Israel in der Region. Und es ist ein Zeichen der Unterlegenheit der Pessimisten, dass sie ihre Bedenken eher verhalten äußern. In der allgemeinen Euphorie des Neuanfangs will niemand allzu auffällig aus der Reihe tanzen. Der konservative Sicherheitspolitiker Elliot Abrams schreibt: »Amerikanische Juden wären peinlich berührt, sollte es zu einer Konfrontation zwischen den beiden Männern kommen, und wenn sich eine anbahnen sollte, werden sie bemüht sein, den Konflikt zu vertuschen und zu zerstreuen.«
Ein Konsens besteht freilich: Das Treffen zwischen Obama und Netanjahu gilt als Schicksalsstunde für den Nahen Osten. Und niemand wagt eine Prognose. Denn bei der Begegnung der beiden Staatsmänner am Montag sitzt virtuell auch die Islamische Republik Iran mit im Oval Office.
Die Optimisten hoffen, dass ein gelungenes Treffen die gemeinsame Front gegenüber dem Iran erheblich stärken wird und Teheran in eine diplomatische Zwangslage gerät. Für Walter Russell Mead, Senior Fellow des Council on Foreign Relations, bleibt Amerika der größte Spieler. Mead glaubt an so etwas wie einen Marshallplan für die Palästinenser: eine umfassende wirtschaftliche und politische Hilfe für den neuen Staat im Westjordanland und in Gasa. Dafür sieht Mead in der Regierung Obama einen überaus guten Willen. Hinter dieser Vision steht Meads Idee, dass Amerika da anknüpfen muss, wo die Briten in den 40er-Jahren kläglich versagt haben, nämlich, ihre Hoheitsmacht für eine stabile Zukunft in Palästina einzusetzen.
Doch Pessimisten wie Elliot Abrams oder Charles Krauthammer von der Washington Post befürchten, dass die Versprechen an die Palästinenser zwar immer weiter konkretisiert werden, die Sicherheitsgarantien für Israel gegenüber Iran allerdings immer nebulöser werden. Soeben hat das demokratische Kongressmitglied Howard Berman seine eigene Gesetzesvorlage für verschärfte Iran-Sanktio- nen im Einvernehmen mit seiner Parteiführung zurückgezogen.
Umso auffallender, wenn ausgerechnet der Optimist Walter Russell Mead betont, dass Amerika Israel in der Iranfrage wenig angeboten hat. Das könnte Netanjahu provozieren, auf eigene Faust anzugreifen, um dem Regime in Teheran die nukleare Option zu nehmen. Mead: »Ich glaube nicht, dass Netanjahu so eine Karte rasch oder unüberlegt spielt, aber eine Karte ist es doch.« Falls er diese Karte spielt, müsste Washington der militärischen Initiative Jerusalems irgendwie folgen.
Daher die Dramatik dieses Treffens zweier Verbündeter. Obama will als Taube ein neues Zeitalter anbahnen. Die Rolle des Falken fällt nach dem Abgang von George W. Bush Netanjahu zu. Und alle Amerikaner, ob Optimisten oder Pessimisten, hoffen, dass Amerika tatsächlich der größte Spieler im Nahen Osten bleibt – im Frieden oder, wenn nötig, im Krieg.
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Für den Chef im Weißen Haus ist es nur eine von vielen Begegnungen mit Politikern aus Nahost, wenn er am 18. Mai Israels Premier Benjamin Netanjahu in Washington empfängt. Mit dem Gast aus Jerusalem wird er über Krieg und Frieden sprechen – Themen, die er auch mit Jordaniens König, dem Präsidenten von Ägypten oder dem Premier der Türkei diskutieren will. Und vielleicht bald schon mit dem iranischen Präsidenten.
Für Netanjahu ist der Besuch bei Obama hingegen keine Routine, sondern einer der kritischsten Termine in seiner politischen Karriere. Am 18. Mai geht es für den israelischen Premier um existenzielle Fragen. Auf dem Spiel steht nicht nur seine eigene Zukunft als Regierungschef. Das Meeting mit Obama könnte auch für das ganze Land schicksalsträchtig sein.
In den vergangenen Jahren hatten Besuche israelischer Premiers im Weißen Haus den Charakter von Heimspielen. Die Interessen der USA und Israels im Orient waren nahezu deckungsgleich. Jetzt aber steht Netanjahu ein harter Auslandseinsatz bevor. Obama und Netanjahu sind in wesentlichen Fragen unterschiedlicher Meinung. Ausgerechnet dort, wo sich Israel am stärksten bedroht fühlt – bei der nuklearen Aufrüstung Irans – möchte Obama nämlich eine konziliante Politik ver- folgen. Er könnte sich vielleicht sogar mit einer iranischen Atombombe abfinden – das zumindest befürchten Politiker und Militärs in Jerusalem. Netanjahu will deshalb weitere Sanktionen gegen Iran fordern. Die informelle Frist für Maßnahmen, die die Iraner mit diplomatischen Mitteln von ihrem Atomprogramm abbringen sollen, müsste aus israelischer Sicht spätestens Ende des Jahres auslaufen. Denn einen »kritischen Dialog« mit dem Iran haben die Europäer bereits in den vergangenen fünf Jahren versucht – ohne Erfolg. Er gab den Mullahs indes genügend Zeit, ihrem Ziel, der Atombombe, näherzukommen, während die iranischen Unterhändler so taten, als sei die Islamische Republik zum Einlenken bereit. Netanjahu befürchtet, dass Teheran die signalisierte Gesprächsbereitschaft der USA benutzen könnte, um auch Obama hereinzulegen.
Doch nicht nur in der Einschätzung der iranischen Gefahr sind sich der Amerikaner und der Israeli uneinig. Obama hat die europäische Sicht verinnerlicht, wonach die Lösung des israelisch-arabischen Konflikts die zentrale Voraussetzung sei, um andere Probleme in der Region zu lösen – etwa die nukleare Aufrüstung des Iran.
Also setzt Obama im Nahen Osten neue Prioritäten. Zunächst will er Israel unter Druck setzen, um den Konflikt mit den Palästinensern zu lösen: Siedlungsstopp, Rückgabe von besetzten Gebieten und Teilung Jerusalems sind die zentralen Forderungen. Dann werde es einfacher sein, das iranische Atom-Problem zu entschärfen.
Netanjahu sieht es genau umgekehrt: Sobald Teheran über die Atombombe verfügt, werden auch die Hamas und die Hisbollah eine strategische Aufwertung erfahren. Gleichzeitig wären die moderaten Kräfte in der Region geschwächt. Beides würde eine Lösung des Nahostkonflikts erschweren, meint Netanjahu. Deshalb hat er es bisher vermieden, das Wort »Zweistaatenlösung« in den Mund zu nehmen. Während Obama die Gründung eines palästinensischen Staates anstrebt, will Israel den Palästinensern lediglich einen »ökonomischen Frieden« offerieren. Solange sich die Fatah und die Hamas nicht einig seien, habe es nämlich keinen Sinn, den Palästinensern die Verantwortung für einen eigenen Staat zu übergeben, wird Netanjahu in Washington vortragen.
Die Frage: »Was kommt zuerst, Palästina oder Iran?« wird am 18. Mai deshalb das Gespräch dominieren. Es wird aber nicht bloß um die Zukunft des Nahen Ostens gehen, sondern auch um Israels Innenpolitik. Sollte Netanjahu Obamas Vorstellungen vom Nahen Osten akzeptieren, müsste er den Austritt seiner rechten Koalitionspartner in Kauf nehmen. Erteilt er Obama hingegen eine Abfuhr, hat er ebenfalls mit unerfreulichen Konsequenzen zu rechnen. Israelis haben bisher Regierungschefs, die den Zorn des Weißen Hauses auf sich gezogen hatten, stets abgewählt.