Musik bestimmt meinen Tag, den Ablauf meiner Woche. Mit Musik wache ich jeden Morgen auf. Ich habe nämlich einen Musikwecker. Abends wähle ich aus, mit welchem Stück ich den Tag beginnen möchte. Ich würde wohl auch ohne Wecker aufwachen, aber ich schlafe, bis ich Musik höre: Mal ist es ein israelisches Lied, mal Jazz. Ich höre nicht nur Klassik, wirklich nicht. Zwar ist meine Leidenschaft Johann Sebastian Bach, aber ich höre sehr gerne auch was anderes.
Ich bin Pianistin. Das Üben ist ein fester Bestandteil in meinem Tagesrhythmus. Mein Wunsch ist, das zu erfüllen, was mir – das klingt jetzt vielleicht sehr dramatisch – der Allmächtige gegeben hat. Ich denke: Er hat mich mit einer Gabe ausgestattet, also ist es meine Pflicht, daraus etwas zu machen. Wenn ich mit meiner Leidenschaft, Bachs Musik zu interpretieren, Menschen erfreuen kann, dann habe ich eine gewisse Verpflichtung dazu. Das allein ist aber nicht meine Motivation. Es macht mich sehr glücklich, wenn nach den Konzerten Menschen zu mir kommen und sagen, wie gut es ihnen gefallen hat. Manchmal sagt auch jemand: »Frau Yitzhaki, eigentlich bin ich krank und habe Schmerzen. Aber während Ihres Konzerts konnte ich die Schmerzen vergessen.« Solche Momente sind unglaublich schön. Natürlich würde ich mich freuen, wenn ich eine Einladung bekäme, alle Bach-Klavier-Konzerte mit den New Yorker Philharmonikern zu spielen. Das wäre aber eine ganz andere Art von Freude, das ist nicht wie die Freude fürs Herz.
Morgens sitze ich am Klavier und übe. In der Woche versuche ich, vormittags mindestens drei Stunden zu spielen. Zwischen 13 und 15 Uhr ist Ruhezeit. Gezwungenermaßen, wegen der Nachbarn. Danach mache ich weiter. Am Nachmittag gebe ich zudem Unterricht. Ich habe fünf Schüler: Kinder und fortgeschrittene Jugendliche, die sich auf Aufnahmeprüfungen an der Hochschule vorbereiten. Es gibt zwar feste Termine für die Klavierstunden, aber wegen meiner Auftritte lassen sie sich nicht immer einhalten. Gelegentlich muss ich den Unterricht verlegen. Daher ist es sehr wichtig, dass meine Schüler flexibel sind.
büroarbeit Ein Großteil meiner Zeit vergeht mit Üben, Unterrichten und Auftritten. Mehr Stunden, als mir lieb sind, beanspruchen Büroarbeit und Ähnliches. Ich muss Auftritte akquirieren, das Konzertprogramm gestalten, Termine vereinbaren. Das kostet unglaublich viel Zeit. Es gibt Tage, da sitze ich länger vorm Computer als am Klavier. Manchmal verbringe ich aber auch Zeit vor dem Bildschirm, um übers Internet israelisches Fernsehen zu gucken.
Eigentlich sind meine Tage nicht fest strukturiert. Freitags gehe ich oft einkaufen, mal alleine, mal mit meinem Partner. Ich mache Joga – wenn ich es einrichten kann, dann in der Gruppe, ansonsten allein zu Hause. Joga entspannt mich.
In der Woche, wenn es abends keine Termine gibt, dann koche ich für mich und meinen Partner. Abends lese ich oft, auf Hebräisch. Zuletzt habe ich Die Geschichte eines Deutschen von Sebastian Haffner gelesen. Ich bringe die Bücher aus Israel mit; alle paar Monate bin ich dort, meist auf Einladung für Auftritte. In Deutschland bin ich nicht bekannt, in Israel schon.
Ich beschäftige mich intensiv mit zeitgenössischer israelischer Klaviermusik. Es ist mir ein großes Anliegen, für diese Musik zu werben. Daher habe ich ein Konzept entwickelt und biete auch ein Programm mit Musik und Vorträgen an. Ich spiele Stücke von israelischen Komponisten und erzähle über ihr Leben und Werk. In Israel gibt es eine riesige Aktivität im Bereich der zeitgenössischen Musik. Leider kennt man hier diese Komponisten überhaupt nicht. Ich bedauere das sehr. In Deutschland dreht sich vieles um die jüdische Kultur und Musik aus der Vergangenheit. Natürlich hat das seine Berechtigung und seinen Platz. Ich denke aber, dass es wichtig ist, den Leuten zu vermitteln, dass die jüdische Kultur nicht 1945 aufgehört hat. Also arbeite ich intensiv über die zeitgenössische Musik in Israel. Darüber habe ich auch promoviert.
flugbekanntschaft Meinem Heimatland bin ich sehr verbunden. Ich bin in Israel geboren und aufgewachsen, war beim Militär und habe dort studiert. Mit 22 Jahren, das war 1999, bin ich nach New York gegangen, um weiterzustudieren. Ich bekam ein Stipendium und konnte in New York meine Doktorarbeit schreiben. Ich hatte niemals vor, eines Tages in Deutschland zu leben. Dazu wäre es wohl auch nicht gekommen, wenn ich nicht im Flugzeug einen deutschen Mann kennengelernt hätte.
Das war vor fünf Jahren. Ich bin von New York nach Israel zu einem Auftritt geflogen. Es war ein Lufthansa-Flug mit Zwischenstopp. In Frankfurt stieg er ein und hatte seinen Platz neben mir. Er interessierte sich sehr für Israel, wollte dort Urlaub machen. Wir haben uns während des vierstündigen Flugs unterhalten und schließlich Adressen ausgetauscht. Bis wir dann in Frankfurt zusammenkamen, hat es gedauert. Das ist eine lange Geschichte, es musste sich alles entwickeln. Vor zwei Jahren bin ich dann von New York hierher gezogen.
Die Entscheidung fiel mir keineswegs leicht. Man kann sich ja nicht von der Vergangenheit trennen. Aber die Liebe ist dann doch etwas anderes. Nun wohnen wir zusammen und wollen eine Familie gründen. In absehbarer Zeit werden wir nach Israel umsiedeln. Meine Kinder möchte ich dort großziehen. Auch wenn man hier gut leben kann mit meinem Beruf, der geschätzt ist und es hier ein interessiertes Publikum gibt. Aber ich will nicht ewig in Deutschland bleiben. Als Israelin hier zu leben, empfinde ich nicht als angenehm. Man wird ständig mit der Vergangenheit konfrontiert. Und es gibt sehr viel versteckten Antisemitismus. In New York war das anders. Die halbe Stadt ist ja jüdisch.
Deutsch habe ich übrigens nicht erst hier, sondern schon in Israel gelernt. Die Sprache hat mich sehr interessiert – wegen der klassischen Musik, die ja viele Wurzeln in Deutschland hat. Ich dachte, wenn man sein Leben der klassischen Musik widmet, dann muss man Deutsch können. Auch, um die Literatur über die Musik lesen zu können.
observanz Als ich nach Deutschland kam, stellte ich fest, wie säkular doch diese Gesellschaft ist. Es gibt so viele Christen, die kaum etwas mit Religion zu tun haben. Ich habe früher immer gedacht, ich sei nicht besonders religiös. Hier ist mir dann klar geworden, dass ich im Vergleich zu den meisten Menschen geradezu ultraorthodox bin. Aber im Vergleich zu orthodoxen Juden in Israel bin ich wiederum gar nicht religiös. Der Grad der Religiosität ist doch auch immer eine Frage der Perspektive. Schon als Jugendliche hatte Religion für mich eine Bedeutung. Ich halte mich an sehr vieles, das mit dem Judentum zu tun hat. Ich gehe regelmäßig in die Synagoge, halte die Feiertage ein, faste. Und wenn ich Fleisch essen würde, dann nur koscheres. Aber ich bin Vegetarierin.
Streng religiös zu leben, ließe sich mit meinem Beruf kaum vereinbaren. Wegen der Auftritte könnte ich mich nicht an alle Regeln halten. Ich bemühe mich, ein paar davon einzuhalten. Wenn ich kann, dann gebe ich freitagabends kein Konzert. Und nach Möglichkeit versuche ich, den Samstag freizuhalten. Vormittags gehe ich oft in die Synagoge. Der Schabbat ist für Treffen mit der Familie und mit Freunden reserviert. Und immer wieder gibt es auch Einladungen von Mitgliedern der jüdischen Gemeinde. Das finde ich sehr schön.