Die Gesellschaft legt sehr viel Wert auf Schönheit. Die »schönen« Menschen dringen immer mehr in den Vordergrund, im Fernsehen und in Zeitschriften sind fast ausschließlich schöne Menschen zu sehen. Es ist für einen schönen Menschen auch leichter, eine Arbeit zu finden. Menschen die nicht so gut aussehen, werden oft diskriminiert, haben es nicht so leicht.
Doch wie wir wissen, haben sich die Schönheitsideale im Verlauf unserer Ge-
schichte sehr verändert – und sie verändern sich noch. Wer kann sagen, was und wer wirklich schön ist, oder wer nicht? Gibt es vielleicht eine objektive Schönheit? Und schließlich, was ist die Meinung der Tora über Schönheit und ihre Aspekte? Schließlich werden auch in den heiligen Schriften viele Menschen als »schön« be-
zeichnet.
talmud Im Traktat Sota, in dem es um eine abtrünnige Frau geht, gibt es folgende Passage: »Jedesmal, wenn Rejsch Lakisch über die Gesetze der abtrünnigen Frau sprach, begann er mit folgenden Worten: ›Der Allmächtige führt die Paare zusammen nur entsprechend ihren Taten‹«. Das heißt: wenn eine Person gerecht war, be-
kommt sie auch einen gerechten Partner. Doch falls sie viel gesündigt hat, wird ihr auch ein Sünder als Partner zuteil, was in der Tat sehr gerecht erscheint. Doch das Be-
merkenswerte ist, dass gerade Rejsch La-
kisch, eine der führenden rabbinischen Persönlichkeiten der talmudischen Zeit, derjenige ist, der dies gesagt hat. Denn ge-
rade in seinem Fall trifft diese Regel überhaupt nicht zu.
Denn der Talmud erzählt, dass, bevor sich Rejsch Lakisch zum religiösen Leben wandte, er ein Gladiator und später der An-
führer einer Räuberbande war. Daher auch sein Name. Rejsch Lakisch heißt aus dem Aramäischen übersetzt: Anführer der Räuber. Dieser Mann heiratete die Schwes-
ter eines der größten Gelehrten damaliger Zeit, Rabbi Jochanan, der auch zu den schönsten Menschen der Welt gezählt wurde. Also ist Rejsch Lakisch eigentlich der beste Gegenbeweis seiner eigenen Regel. Denn er, der ein Leben voller bösen Taten und Sünden verbrachte, hat eine der ge-
rechtesten und schönsten Frauen der Welt bekommen. Wo bleibt die Gerechtigkeit, über die er selbst gesprochen hat?
Um diese Frage zu beantworten, muss man sich genauer anschauen, wie Rejsch Lakisch die Schwester von Rabbi Jochanan zur Frau bekam.
Im Traktat Bawa Metzia wird erzählt, wie eines Tages Rabbi Jochanan im Fluss badete. Als Rejsch Lakisch, der am Flußufer spazieren ging, ihn sah, war er von seiner außergewöhnlichen Schönheit begeistert. Um ihn näher zu betrachten, sprang Rejsch Lakisch von einem Ufer auf die andere Seite des Flusses. Rabbi Jochanan, der wiederum von der Stärke Rejsch Lakischs angetan war, sprach: »Deine Stärke für Tora.« Rejsch Lakisch erwiderte: »Deine Schönheit für Frauen.« Daraufhin machte ihm Rabbi Jochanan ein unwiderstehliches Angebot: Er versprach ihm seine jüngere Schwester, die noch schöner war als er, sobald Rejsch Lakisch »Tschuwa« (also Rückkehr zum gerechten Leben) machen würde. Rejsch Lakisch ging auf das Angebot ein, veränderte seine Lebensweise, heiratete die Schwester von Rabbi Jochanan und wurde später zu einem der größten Gelehrten der talmudischen Zeit.
Tschuwa Unsere Weisen sagen, wenn man Tschuwa macht, werden die Sünden des Menschen zu Verdiensten umgewandelt. Genau das passierte in der Geschichte: In dem Moment, als Rejsch Lakisch sich entschlossen hatte, zu einem gerechten Menschen zu werden, wurden alle seine Sünden zu Verdiensten. Also wurde er in diesem Moment zu einem absoluten Gerechten. Deswegen bekam er auch eine so außergewöhnliche Partnerin, die Schwester von Rabbi Jochanan, die sich durch Schönheit und Gerechtigkeit auszeichnete.
Doch wie kann es sein, dass jemand, der nur wegen der Schönheit einer Frau Tschuwa gemacht hat, zu einem Gerechten wurde? Denn unsere Weisen sagen, dass nur eine Tschuwa um des Himmels willen eine vollkommene Wirkung auf den Menschen machen kann. Nicht die Tschuwa aus finanziellen Gründen oder irgendeiner anderen Profitgier, auch nicht wegen der Schönheit einer Frau, sondern nur eine un-
eigennützige Tschuwa aus dem reinen Willen, G-tt zu dienen, ist der richtige Weg. Wie kann es sein, dass die Tschuwa von Rejsch Lakisch gewirkt hat?
Tora Im Wochenabschnitt Wajischlach (1. Buch Moses, 34) wird berichtet, wie ein Prinz die Tochter von Jakob, Dina, gefangen genommen und vergewaltigt hat. Da-
nach verliebte er sich so sehr in sie, dass er bereit war, sein ganzes Königreich für sie in Gefahr zu bringen, wofür er auch später bestraft wurde. Doch die Sprache, die von der Tora benutzt wird, um diese Geschichte zu beschreiben, gibt uns einen sehr interessanten Hinweis, nämlich: ganz am Anfang der Passage bezeichnet die Tora Dina als die Tochter Leahs. Doch später, als es darum ging, wie der Prinz nach dem Mädchen verrückt wurde, wird Dina als Tochter Jakobs bezeichnet. Wie wir wissen, wird in der Tora kein einziges Wort umsonst be-
nutzt, also möchte uns die Tora ganz be-
stimmt mit dieser sprachlichen Wendung auf irgendetwas hinweisen.
Eine der möglichen Erklärungen dieser Diskrepanz wäre, dass am Anfang Dina vom Prinzen als ein einfaches Mädchen angesehen wurde. Sie wollte auch ganz normal, wie andere, werden. Das wird auch von der Tora gezeigt im Vers: »Und Dina, Tochter Leahs kam heraus, um sich die Töchter des Landes anzuschauen«(34,19). Das heißt, sie wollte so sein wie sie. Sie ging aus dem Haus, kleidete sich wie die anderen, um zu erfahren, wie es sich anfühlt, »normal« und gewöhnlich zu sein. Deswegen wird sie von der Tora nicht als Tochter Jakobs bezeichnet. Daraufhin wurde sie auch dementsprechend von dem verwöhnten Prinzen behandelt. Genauso wie jedes andere gewöhnliche Mädchen nahm er sie gewaltsam in seinen Besitz und vergewaltigte sie. Doch plötzlich veränderte sich seine Einstellung zu ihr. Sie wurde von einem gewöhnlichen Spielzeug in seinen Händen zu seiner Königin, für welche er bereit war, alles, einschließlich seines eigenen Lebens, aufs Spiel zu setzen. Warum? Weil er in ihr die Tochter Jakobs entdeckte.
Nachdem er sie näher kennen-
lernte, merkte er immer mehr, dass sie sich von anderen Mädchen, die er vorher gekannt hatte, unterschied. Sie besaß die Eigenschaften und moralischen Werte Jakobs und damit auch der Tora, was sie so einzigartig machte. Das hatte dem Prinzen an ihr so gefallen. Und das hatte ihn auch so sehr angezogen, dass er dieser Anziehungskraft nicht widerstehen konnte: Die Werte der Tora, die einzigartige Persönlichkeit und die damit verbundene Ausstrahlung, die dieses Mädchen besaß. Etwas, was er nie zuvor gesehen hat.
schönheit Genau von dieser Schönheit ist die Rede in der Geschichte von Rejsch Lakisch, Rabbi Jochanan und seiner Schwester. Die Werte Rabbi Jochanans, seine herausragende Persönlichkeit und sein charismatisches Auftreten haben ihn zu einem der schönsten Menschen der Welt gemacht. Und als Rejsch Lakisch hörte, dass die Schwester dieselben Eigenschaften besaß, war er sofort bereit, sein ganzes Leben zu ändern, nur um sie als Frau zu bekommen, obwohl er sie selbst nie im Leben gesehen hatte. Also war seine Tschuwa für die Tora und ihre Schönheit, die durch die Eigenschaften der Schwester Rabbi Jochanans zum Ausdruck kamen. Daher wurde er zu einem der größten jüdischen Gelehrten aller Zeiten.
Aus dieser Geschichte sehen wir, was wahre Schönheit ist: Die Schönheit der einzigartigen Persönlichkeit, die jedem von uns verliehen wurde, und die sich aus den moralischen Werten und der damit verbundenen Ausstrahlung zusammensetzt. Denn jeder Mensch ist anders erschaffen worden. Also besitzt jeder auch seine eigene Schönheit, die nach außen strahlt. Und das ist genau das Gegenteil von dem, was uns die heutige Gesellschaft vermittelt, in-
dem sie uns materielle und vergängliche Werte als Schönheit verkauft. Denn wahre Schönheit ist ewig.