Es brauchte 200 Beamte und drei volle Stunden, um in einer einzigen Siedlung das Papier zu übergeben. Tagelang hatten die Bewohner von Kedumim der Polizei den Zutritt zu ihrem Wohnort verweigert, zornig die Fäuste geschwungen und sämtliche Straßen blockiert. Erst nachdem die Polizisten einen Zaun eingerissen und sich durch das arabische Nachbardorf Zugang verschafft hatten, konnten sie die Anordnung abgeben. Seit Premierminister Benjamin Netanjahu mit seiner rechtsgerichteten Regierung am vergangenen Mittwoch den zehnmonatigen Baustopp in den jüdischen Siedlungen des Westjordanlandes verkündet hat, vergeht kein Tag, an dem die Siedlerbewegung nicht dagegen aufbegehrt und voller Wut alle Kräfte mobilisiert, die neue Realität nicht als solche anzuerkennen.
ausnahmen Ab sofort gilt in allen jüdischen Siedlungen innerhalb des Westjordanlands: Es dürfen keine neuen Wohnungen mehr gebaut, bereits begonnene aber fertiggestellt werden. Öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten und Synagogen indes können weiterhin errichtet werden. Auch steht Ost-Jerusalem in der israelischen Initiative, die laut Regierung die erstarrten Friedensgespräche mit den Palästinensern wiederbeleben soll, nicht zur Debatte. In Siedlungen wie Maaleh Adumim oder Gilo nahe Jerusalem werden weiterhin die Schaufelbagger fahren. Besonders deshalb wird der Baustopp von den Palästinensern als »halbherzig und unechtes Friedensangebot« angesehen. Die Pause am Bau muss überwacht werden, Netanjahu weiß, dass es um die Umsetzung, nicht die bloße Ankündigung geht.
Doch an allen Ecken und Enden fehlen Beamte. Und: Es ist alles andere als ein Traumjob. Man wird beschimpft, bespuckt, verjagt, muss vielleicht gar um sein Leben bangen. Händeringend sucht Verteidigungsminister Ehud Barak nun Leute. Sie haben klare Anweisungen: »Anordnungen zum Baustopp verteilen, wenn nötig Material konfiszieren, nach 14 Tagen Kontrolle vor Ort. Werden die Anweisungen nicht befolgt, ist eine Abrissanordnung auszustellen.« Bereits kurz nach der Rede hatten die Inspektoren 70 Siedlungen besucht, 64 Bescheide verteilt und vier Baufahrzeuge konfisziert.
Mittlerweile kündigten verschiedene Anführer der Siedlerbewegung an, den Protest hinter die »grüne Linie« zu verlagern. »Wenn wir auf unserem Weg in Judäa und Samaria aufgehalten werden, halten wir die Juden im ganzen Land auf«, schrieb die ultrarechte Zeitung Hakol Ha’Jehudi, die in der Yitzhar-Siedlung herausgegeben wird. Von hier aus sollte der nationale Protest am Montag starten, »der ganz Israel lahmlegen wird«. Dazu kam es jedoch nicht. Statt der Polizei gebot an diesem Tag die Macht der Natur den Demonstranten Einhalt. Heftige Regenfälle im ganzen Land hielten die meisten von Protesten außerhalb ihrer Wohnorte ab. Lediglich am Eingang zu Jerusalem hatten Ju- gendliche vergeblich versucht, die Zufahrtsstraßen dicht zu machen.
Es gibt Siedlungen, in denen die Beamten ohne Probleme ihre Arbeit verrichten können, in vielen aber sind es mehr als nur eine Handvoll junger Leute, die gegen die Uniformierten angehen. Oft werden sämtliche Bewohner mobilisiert, die die Anordnung mit Schaufeln und Hacken ad absurdum führen wollen. Respekt vor dem Ge- setz kümmert die wenigsten, sie fühlen sich im Recht, die Regierung sei im Unrecht, tönen sie. So zerriss der Vorsitzende des Samaria-Gemeinderates, Gerschon Mesika, vor laufenden Kameras die Baustopp-Anordnung. Woraufhin Sozialminister Isaac Herzog prompt ein Treffen mit ihm ab- sagte. »Mesikas Handlung als ein gewählter Repräsentant untergräbt Israels Basis als demokratischer Staat.« Es werde befürchtet, so Herzog weiter, dass die Aufwiegelung und Eskalation gegen die Regierungsanordnung von gewählten Vertretern unterstützt wird. »Das ist ein gefährlicher Weg, und es kann nicht abgesehen werden, was für Folgen dies für die Zukunft hat.« Auch in der Westjordanland-Siedlung Maaleh Levona wüteten Hunderte von rechten Aktivisten am Eingang der Ortschaft, beschimpften die Männer der Einsatztruppe als »Rassisten«, »Antizionisten« und ließen sie nicht näher- kommen. Bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen wurde ein Mann verletzt. Wiederholt hat Netanjahu betont, dass die »Siedler unsere Brüder sind« und zum Verständnis für sie in der Bevölkerung aufgerufen. Die Mehrzahl der Kommentatoren im Land kann offenbar wenig Mitgefühl für diese Art des zivilen Ungehorsams aufbringen. Yossi Sarid schrieb in der vergangenen Woche in der Tageszeitung Haaretz: »Wenn diese Siedler meine Brüder sein sollen, dann habe ich keine Brüder.«