von Helmut Kuhn
»Der Bart als phylogenetischer Terminalhaarrestbestand unserer ehemaligen Vollbehaarung stellt evolutionär betrachtet eine spezialisierte Form der Körperbedeckung dar und signalisiert klaren Sexualdimorphismus«, heißt es in einer philosophischen Dissertation mit dem Titel »Der Bart« an der Universität Hamburg. So kompliziert kann man es betrachten. »Der Bart ist klasse. Ich ziehe ständig alle Blicke auf mich«, sagt Chaim Hoffmann und zwirbelt lustvoll in seinem weißgrauen »Kaiser-Wilhelm« herum – so einfach kann man es auch sehen.
Chaim Hoffmann ist ein Israeli in Berlin, Bartträger aus Leidenschaft, und er hat ein großes Ziel: »Ich möchte nächstes Jahr in England Weltmeister werden in der Kategorie Kaiserlicher Backenbart«. Dazu werde er sich eigens ein kaiserliches Kostüm kaufen, denn er will endlich den Karl-Heinz schlagen, seinen ewigen Widersacher im 1. Berliner Bartclub 1996. Aber vielleicht der Reihe nach.
Chaim Hoffmann hat in seinem Leben schon vieles gemacht. »Ich habe geschweißt, ich habe gekämpft, ich habe Möbel versandt, ich habe Bier gezapft – ich hatte nie einen Leerlauf.« Geboren 1948 in Schwarbach bei Nürnberg, gingen seine Eltern nach Palästina, als Chaim Hoffmann sechs Monate alt war. Er wuchs in Akko auf, nördlich von Haifa, »eine sehr schöne Altstadt, in der viele Palästinenser lebten, unsere Nachbarn«. Später erlernte er den Beruf des Schlossers und arbeitete dann als Schweißer im Kibbuz Jiftach nahe der libanesischen Grenze. »Dort trafen wir uns mit den libanesischen Arabern am Abend immer an einem Brunnen zum gemeinsamen Essen«, schwärmt er von dieser Zeit.
Aber diese Zeit ist fern und scheint mit Wehmut beladen. Im März dieses Jahres ist seine Mutter sel. A. gestorben. Demnächst – wenn sich dort die Lage wieder etwas beruhigt hat – werde er wieder nach Akko reisen, um sich um die Wohnung der Mutter zu kümmern. Sonst ist ihm nicht allzu viel geblieben – aus Israel.
Denn nach seinem Wehrdienst in der Armee ging er »mit ein paar Jungs« auf Europa-
Reise. Sie tourten durch Schweden und Dänemark und machten Station bei Chaims Onkel und Cousine, die schon damals ein koscheres Lebensmittelgeschäft in der Nürnberger Straße betrieben.
»Es war keine bewußte Entscheidung, in Berlin zu bleiben, es hat sich so ergeben«, sagt Chaim Hoffmann im Restaurant »Sixties« am Berliner Nollendorfplatz. Er wohnt hier im Kiez. »Ich bin sozusagen noch auf der Durchreise. Aber inzwischen bin ich verheiratet und habe zwei Kinder«, sagt er und zwirbelt an der kaiserlich behaarten Backe.
Der Durchreisende arbeitete im Hoch- und Tiefbau und wechselte 1975 in die Gastronomie. Er kellnerte im »Mifgash Israel«, in dem 1972 eine Bombe gezündet wurde. Die Täter wurden nie er-
mittelt. Wieder wechselte Chaim Hoffmann den Beruf – acht Jahre verbrachte er bis zu einem Bandscheibenvorfall in einer Spedition. Dann machte er sich mit einem Lokal selbständig. »,Tresentreff‹ hieß die Kneipe in der Kufsteiner Straße. Ich hatte bis dahin noch nie ein Bier getrunken, geschweige denn eingeschenkt – und plötzlich zapfte ich jede Woche 16 Fässer.«
Über einen Freund gelangte Chaim Hoffmann schließlich zu seinem – vorläufig – letzten Beruf: heute führt er Besucher aus aller Welt durch das Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt im Haus Schwarzenberg am Hackeschen Markt. Auf Englisch,
auf Deutsch und Hebräisch erzählt er die Geschichte des stark sehbehinderten Fabrikanten Otto Weidt, der blinde und taubstumme Juden in dieser Werkstatt vor der Vernichtung durch die Nazis schützte.
Seither verbindet Chaim Hoffmann eine enge Freundschaft mit der Schriftstellerin Inge Deutschkron, die in Otto Weidts Werkstatt als Schreibkraft arbeitete. »Wir sind in diesem Museum wie eine Familie«, sagt Chaim Hoffmann.
So scheint der Durchreisende in Berlin ziemlich angekommen zu sein. Beide Kinder lernten das Hotelfach, aber seine Tochter Tal, 21, will jetzt Kindergärtnerin werden, und Sohn Shai, 24, ist ein waschechter Einheimischer geworden: Er spielte in der Vorabendserie »Verliebt in Berlin« und macht mit seiner Band »Shai & the Shaikers« die Bühnen unsicher.
Beide gehen ihm aber auch zur Hand, wenn er zum Israel-Tag oder auf dem Wochenendmarkt in Heinersdorf Humus, Falafel, Tehina und Auberginensalat verkauft – denn die israelische Küche ist immer seine Leidenschaft geblieben.
Und wie kam es nun zum kaiserlichen Backenbart? »In der israelischen Armee trug ich einen Oberlippenbart und später dazu meistens noch einen Dreitagebart. In Berlin ließ ich mir einen Vollbart stehen, dessen Spitzen ich auf der Oberlippe nach oben zwirbelte. Das sah aus, als wär ‹ne Currywurst drin«, sagt er heute und lacht. In der Kneipe hieß es nur: »Wir gehen zum Bartträger.«
Aber ein Bart ist nicht gleich ein Bart. Als sich Chaim Hoffmann dem 1. Berliner Bartclub 1996 e.V. anschloß, mußte er sich für eine klare Kategorie entscheiden, wollte er auf internationalen Meisterschaften der Bartträger etwas reißen. Auf den Wettkämpfen unterscheidet man 18 verschiedene Barttypen, allesamt mit illustren Namen versehen – von Dali über Wild West, Fu Manchu, Musketier und Garibaldi bis zu Verdi oder Freistil.
Chaim Hoffmann entschied sich für den Kaiser-Wilhelm-Backenbart, gewissermaßen die Königsdisziplin, die international »Imperial« genannt wird. Doch den trug bereits der Karl-Heinz, ein würdiger weißhaariger KaDeWe-Pensionär und amtierender Weltmeister in dieser Kategorie.
Bei der letzten WM 2005 auf den Tegeler Terrassen belegte der Israeli den siebten Platz. Aber er hat Ehrgeiz. »Karl-Heinz, nächstes Jahr in England werde ich dich schlagen«, hat er seinem Vereinskameraden damals geschworen.
So ist Chaim Hoffmann ein Bartträger aus Leidenschaft geworden, aber ganz so einfach ist die Sache mit dem Bart dann doch nicht. Denn das gute Stück will gepflegt sein, und einen Frisör läßt er schon gar nicht an den edlen Haarwuchs. »Der Bart wächst hinten schneller als vorne, da muß man sehr genau schneiden.« Wenn er abends nach Hause kommt, duscht er sofort und gönnt dem Barthaar Ruhe. »Morgens wird der Bart noch einmal shampooniert, damit das Haar schön weich wird. Dann nehme ich Haarfestiger flexibel und Haarfestiger Volumen und modelliere den Bart. Zum Schluß föne ich ihn und bringe ihn mit Haarspray in die Endform.«
Und fährt er dann, ganz imperialer Israeli, mit der U-Bahn ins Museum am Hackeschen Markt, fragt ihn schon mal jemand: »Ey, ist der auch echt?« – »Nee, heute ist er geklebt. Morgen ist er wieder echt« – kontert er, ganz wie ein kodderschnauziger Berliner.
Doch die Sache mit dem Bart hat auch einen Haken: »Wenn es regnet, ist es mit der Pracht vorbei. Der Regen ist unser Feind«, sagt Chaim Hoffmann. Da hilft dann nur noch eins: »Schnell die Zeitung übern Kopp und das Trockene suchen.«
Foto:
Marco Priske