von Felice Naomi Wonnenberg
»Babylon. Mythos und Wahrheit« – diesen Slogan sieht man derzeit allerorten in Berlin plakatiert. Mit flächendeckender Werbung zieht das Pergamonmuseum ins Feld, um das Volk in seine Ausstellung über die sagenhafte Stadt im Orient zu locken. Mit Erfolg: Die Massen – Berliner und Touristen – strömen durch das babylonische Ischtar-Tor in die Museumshallen. Dort sind Schätze der Staatlichen Museen zu Berlin, des Musée du Louvre in Paris und des Londoner British Museum zu sehen. In zwei großen Abteilungen, »Wahrheit« und, dem gegenübergestellt, »Mythos« genannt, verspricht die Schau aufzuräumen mit den Fantasievorstellungen des westlichen Abendlandes über das verruchte »Sündenbabel« und stattdessen die historischen Fakten über die babylonische Kultur zu zeigen.
Zu denen gehören auch jüdische Aspekte, die in der Broschüre zur Ausstellung gleich doppelt vorkommen, einmal als schlicht jüdische, dann als »christlich-alttestamentarische«, eigentlich ein Widerspruch in sich. Die Verbindung des jüdischen Volkes zu Babylon kennen wir aus Psalm 137: »An den Strömen Babels weilten wir, ach weinten wir, wenn Zions wir gedachten«, in der Popversion By the Rivers of Babylon von Boney M. 1978 wochenlang an der Spitze der internationalen Charts. Nach der Eroberung Jerusalems durch den babylonischen König Nebukadnezar II. im Jahre 598 v.d.Z. war eine große Gruppe Juden aus der Oberschicht von Jerusalem nach Babylon verschleppt worden. Das Exil war aber keineswegs so düster wie im Psalm dargestellt. Die jüdische Gemeinde in Babylon durfte durch einen »Exilarchen« aus dem Geschlecht König Davids ihre inneren Angelegenheiten und Rechtsstreitigkeiten selbst regeln. Kultur und Gelehrsamkeit blühten im toleranten Klima des Zweistromlandes auf. In berühmten Jeschiwot wurden Torainterpretationen erarbeitet, die später, schriftlich fixiert, den Babylonischen Talmud begründeten.
Dem Talmud ist in der Ausstellung ein eigener Raum gewidmet. Als Anschauungsobjekt dazu wird eine 0500Jahre alte Torarolle aus dem Jemen gezeigt. Wie die mit dem Thema zusammenhängt, erschließt sich dem Besucher nicht. Oder hat man das Objekt einfach deshalb in die Vitrine getan, weil es im Museumsinventar eh vorhanden war? An anderer Stelle entdeckt man in einem Raum voller archäologischer Fundstücke zwei grob getöpferte Schälchen, in deren Rundung in schwarzer Schrift das Schma-Israel-Gebet aufge- pinselt wurde. »Magische Schale mit der Inschrift des jüdischen Gebetes Höre Israel«, heißt es dazu. Warum das Schälchen als »magisch« interpretiert wird und wie der Zauber denn funktionieren soll, bleibt ein Mysterium. Vielleicht haben die Ausstellungsmacher den reißerischen Text auf ihrer Website zu wörtlich genommen, wo von »mythischer Geschichte« und »geheimnisvollen Quellen« die Rede ist. Was bleibt, ist die sprichwörtliche babylonische Verwirrung.