von Felice Naomi Wonnenberg
Ein sonniger, warmer Herbsttag in Tel Aviv Ende September 2007. Arabische Großfamilien sitzen im Clore-Park nahe der Strandpromenade. Die Frauen sind trotz der Hitze bis auf das Gesicht komplett verschleiert, es wird gegrillt, getratscht und gelacht. Yuppies joggen in Edel-Sportoutfits vorbei, ein alter Mann verkauft Tee aus einer großen Blechkanne. Ein junger ultraorthodoxer Mann und eine fromme junge Frau spazieren bei ihrem arrangierten Date, sich vorsichtig beäugend – aber, G’tt behüte, nicht berührend. Der Clore-Park, der sich zwischen Tel Aviv und Jaffo erstreckt, bietet das ganze multikulturelle Kaleidoskop der israelischen Gesellschaft.
Diesen Ort hat sich der Künstler Ronen Eidelman für seine Kunstaktion »Marking Manshia« ausgesucht. Sie ist eine in einer Reihe politischer Kunstprojekte unter dem Titel »Jaffaprojekt – Autobiografie einer Stadt«. »Jaffa« wie die Stadt arabisch heißt, nicht das gewohnte hebräische »Jaffo«. Und schon ist man beim Kern der Aktion. So minimal die orthografische Differenz zwischen Endungs-a und Endungs-o ist, so gewaltig sind die Unterschiede in der historischen Wahrnehmung zwischen jüdischen und arabischen Bewohnern. Seit der Bronzezeit, als der erste Hafen angelegt wurde, überlagern sich in Jaffa/o die Völker und ihre jeweilige Geschichte. In der Bibel wird die Stadt (ihr Name leitet sich vom hebräischen »Jaffe«, deutsch »schön« ab) viermal erwähnt, unter anderem in Verbindung mit den Königen David und Salomon. 636 n. d. Z wurde die Stadt von Arabern erobert und besiedelt, während der Kreuzzüge dann von Christen unter Richard Löwenherz, danach wieder von Arabern. Auch Napoleon war hier. Heute ist die Stadt ein Teil von Tel Aviv (der Stadtname lautet offiziell Tel Aviv-Jaffo) und israelisch.
Das Jaffaprojekt will die verdrängte arabische Geschichte der Stadt sichtbar machen. Wo sich beispielsweise heute der in den 60er-Jahren angelegte Clore-Park erstreckt, lag einst das arabische Viertel Manshia. Mit einer Maschine, wie man sie benutzt, um auf Fußballfeldern Markierungslinien zu ziehen, zeichnet Eidelman den Stadtplan von Manshia 1:1 auf die sanften Rasenhügel des Stadtparks. Vorbeischlendernde Passanten bleiben stehen, lesen die einstigen Straßennamen, die im arabischen Original und in der hebräischen Übersetzung auf die Grasflächen notiert werden. Die Aktion ist auffällig, aber nicht aggressiv, die Farbe ist abwaschbar und verschwindet in den kommenden Wochen wieder.
Was danach noch bleibt vom einstigen arabischen Viertel, sind die letzten zwei erhaltenen Gebäude. Eines beherbergt ausgerechnet das Etzel-Museum, in dem an den Kampf der ultramilitanten jüdischen Untergrundgruppe Jitzhak Schamirs erinnert wird, die in den 40er-Jahren durch Terroranschläge auf Araber und Briten berühmt-berüchtigt wurde. Der andere erhaltene Bau ist eine imposante Moschee. Sie steht gegenüber der früheren Delphinarium-Diskothek, einer Gebäuderuine, deren Geschichte sich ihrerseits tief ins emotionale Gedächtnis, diesmal der jüdischen Bevölkerung eingegraben hat: hier wurde 2001 einer der grausamsten Terroranschläge verübt, bei dem 22 zum größten Teil jugendliche Israelis ermordet wurden.
Einige Wochen nach »Marking Man-shia« fand eine weitere Kunstaktion des Jaffaprojekts in Ajami statt, einem überwiegend arabischen Viertel Jaffos. Noch überwiegend arabisch, muss man hinzufügen. Die Immobilienpreise in Tel Aviv sind in den letzten Jahren überproportional zu den Einkommensverhältnissen gestiegen, immer mehr Tel Aviver ziehen ins preiswertere südlich angrenzende Jaffa/o. Zuerst waren es Künstler und Studenten, die nach günstigen Wohnungen suchten. Inzwischen haben auch viele Besserverdienende den nostalgischen Charme der alten arabischen Häuser entdeckt. Es wird in Jaffa/o sehr luxuriös renoviert. Grundstü-cke am Meer, wie in Ajami, sind heiß begehrt. Die arabischen Bewohner werden so allmählich verdrängt. Die Kunstaktion »Auf dem Weg der Sprache« der Künstlergruppe Parhesia machte diesen Trend zum Thema. Die Künstler sprayten rund einhundert Wörter an Bauzäune und Überreste abgerissener Häuser. »Permanent« liest man auf einer Wand und »Existenz«. Geschrieben auf Arabisch, darunter in hebräischen Buchstaben transkribiert, daneben die hebräische Übersetzung.
Die nächste Aktion zur Sichtbarmachung der verschwindenden oder schon verschütteten arabischen Spuren Jaffa/os findet am 26. Januar statt. Bei einer von Yochai Avrahami organisierten politischen Stadtrundfahrt werden Videos und Performances präsentiert, in denen jüdische und arabische Einwohner ihre jeweiligen persönlichen Versionen der Stadtgeschichte erzählen.
www.jaffaproject.org