von Thomas Burmeister
Es hat lange gedauert, bis der Londoner Bürgermeister für seinen beleidigenden Vergleich eines jüdischen Journalisten mit Nazi-Schergen die Quittung bekam. Der Wortwechsel mit dem Reporter Oliver Finegold liegt mehr als ein Jahr zurück. Um so überraschender war am Freitag für viele das durchaus originelle Urteil des zuständigen Disziplinarausschusses: Ken Livingstone solle Anfang des Monats an eine einmonatige Auszeit vom Amt nehmen.
Adrian Cohen, der Vorsitzende des Londoner Jüdischen Forums, begrüßte die Suspendierung, aber zugleich konnte er sein Kopfschütteln nicht verbergen: Eine »einfache Entschuldigung« hätte die Sache rechtzeitig vom Tisch nehmen können. Doch die hatte der Bürgermeister stets verweigert. Klar, daß Livingstone jetzt lospolterte: »Diese Entscheidung trifft ins Herz der Demokratie«, sagte der Bürgermeister. »Gewählte Politiker sollten nur vom Wähler aus ihrem Amt entfernt werden dürfen oder wenn sie ein Gesetz gebrochen haben. Drei Mitglieder eines Ausschusses, den keiner gewählt hat, dürfen nicht die Befugnis haben, sich über das Votum von Millionen Londoner Wählern hinwegzusetzen.« Und Livingstone setze sich erfolgreich zur Wehr. Der High Court, das oberste Zivilgericht, hob am Dienstag die Suspendierung, die eigentlich zum 1. März in Kraft getreten wäre, kurzfristig auf.
Der verhängnisvolle Wortwechsel hatte sich am Rande einer Party abgespielt. Livingstone, der Reporter nicht mag, fragte den Journalisten provozierend, ob er so eine Art »deutscher Kriegsverbrecher« sei. Finegold machte klar, wie beleidigend das
besonders für ihn als Juden sei. Doch der »rote Ken«, wie der Bürgermeister der Acht-Millionen-Metropole wegen seiner manchmal linksradikalen Ansichten genannt wird, war nicht zu bremsen. Unbedingt schien er den Journalisten der konservativen Zeitung The Evening Standard, die nicht zu seinen Freunden zählt, verletzen zu wollen. Er sei doch als bezahlter Schreiber genauso »wie ein Wächter im Konzentrationslager«, polterte Livingstone in das Mikrophon des Reporters. Daß er mit diesem Auftritt dem Amt des Bürgermeisters der Hauptstadt eines demokratischen Staates Schaden zugefügt haben könnte, wollte Livingstone nicht wahrhaben. Seinen Anwalt ließ er eine Reihe früherer Skandale aufzählen, in denen angeblich die jeweils betroffenen Politiker höchstens sich selbst, aber nicht ihrem Amt geschadet hätten.
Das sah der Ausschuß spätestens bei der Nennung des Namens John Profumo anders. »Mr. Livingstone ist nicht nur ein Privatmensch«, erklärte Kim Moorshead von der staatlichen Arbeitsgruppe für Ethische Standards in Behörden. Der Heeresminister Profumo habe seinerzeit keineswegs allein seiner persönlichen Reputation geschadet. Profumo hatte eine Af- färe mit dem Fotomodell Christine Keeler, die auch mit dem sowjetischen Militärattaché ins Bett ging. Der Minister war 1963 zurückgetreten.
Der »rote Ken« gilt als Dickschädel. Premierminister Tony Blair, der Livingstone seit Jahren für einen Störenfried und ein Relikt aus der Klassenkampf-Vergangenheit seiner Labour Party hält, dürfte sich vergeblich wünschen, daß der 60jährige der Politik ade sagt. »Ken ist nach seiner Auszeit garantiert wieder im Amt«, prophezeite ein Labour-Abgeordneter.