Kurz vor Jom Kippur, wenn man anderen vergibt und auch selbst auf Vergebung hofft, sind viele milde gestimmt. Auch in der Repräsentantenversammlung (RV) wollte deren Vorsitzender Michael Joachim diesen Moment nutzen. Mit allen Gemeindevertretern sei gesprochen und per Handschlag besiegelt worden, dass man fortan einen besseren Umgang miteinander pflegen wolle. »Wir wollen sachlich miteinander umgehen und Ergebnisse erzielen«, verkündete er auf der jüngsten RV-Sitzung am Mittwoch vergangener Woche.
Noch Anfang des vergangenen Jahres wurde das Gemeindeparlament – nach ei-
nem Jahr Arbeit – in der Öffentlichkeit für die konstruktive Arbeit und den freundlichen Umgangston gelobt. Doch mit der »gepflegten Streitkultur«, so Joachim, sei es schon wieder vorbei. Es wird gequasselt, geschrien und gegiftet. Auf der einen Seite die Vertreter des Wahlbündnisses »Atid«, auf der anderen die Opposition. Beide liefern sich heftige Wortgefechte, ergehen sich in endlosen Debatten. Während der Sitzung Anfang September ging es derart hoch her, dass der Gemeindeälteste Isaak Behar vor Aufregung einen Schwächeanfall erlitt und ärztliche Hilfe benötigte.
Stimmung Eingangs dieser Sitzung hatte Lala Süsskind mit Blick auf die vergangenen Wochen über einen »Sommer der Ka-
priolen« gesprochen. Die Gemeindevorsitzende nannte dabei unter anderem die überraschende Abwahl des Kulturdezernenten Aharon Risto Tähtinen, der im Zu-
ge der fristlosen Kündigung einer Mitarbeiterin der Jüdischen Volkshochschule sei-
nen Posten räumen musste. Dies geschah unmittelbar vor den Jüdischen Kulturtagen, die Tähtinen mit vorbereitet hatte.
Repräsentant und Präsidiumsmitglied Sergey Lagodinsky von der Gruppe »Hillel« beschreibt die jüngste Entwicklung ungleich drastischer als »Sommer der Einschüchterung und der Katastrophen«. Es gebe zahlreiche Sachthemen, wie die Zuteilung von Dienstwagen und die seiner Meiung nach teils undurchsichtigen Stellenbesetzungen in der Verwaltung, die in der Ge-
meinde für Unruhe sorgen. Die Vorsitzende sei stets bemüht, nur das Positive herausstellen. »Doch wir sind da, um uns zu streiten«, meint Lagodinsky. Politik lebe vom Disput, und die Öffentlichkeit habe ein Recht darauf, alles zu erfahren. Die sachlichen Meinungsverschiedenheiten müsse man ausfechten, für eine persönliche Versöhnung – auch angesichts der Feiertage – sehe er keinen Bedarf.
Diskussion Ein Beispiel aus den vergangenen beiden Sitzungen der RV zeigt das Dilemma. Als Anfang September das Verhältnis zur Mitarbeitervertretung, dem Ver-
trauensrat, in der RV diskutiert wird, be-
tont Finanzdezernent Jochen Palenker: »Deren Arbeit ist uns wichtig«. Der Vertrauensrat soll finanziell unterstützt, der Posten im Nachtragshaushalt aufgenommen werden. Als die Vertrauensratsvorsitzende Rachel Vainik zu einer Stellungnahme eingeladen wird, geht sie auf die zuvor diskutierte Höhe dieser Unterstützung nicht ein. Vielmehr beklagt sie, dass das Verhältnis zum Personaldezernenten zerrüttet sei. Es herrsche »nur noch Angst unter den Mitarbeitern«, und sie sei nicht mehr bereit, dies weiter zu ertragen. Sie wolle deshalb zurücktreten. Personaldezernent Mark Jaffé erwidert, dass er mittlerweile mit etlichen Gemeindemitarbeitern gesprochen habe. Einige hätten ihn als ein »Monster« beschrieben. Er habe mittlerweile eingesehen, dass er häufiger mit den Angestellten sprechen müsse.
Zurück zum Nachtragshaushalt: Ein An-
trag, nach dem der Etat des Vertrauensrates dem tatsächlichen Bedarf angepasst werden soll, wird abgelehnt. Daraufhin ver-
lassen sechs Repräsentanten unter lauten Bekundungen des Publikums den Saal. Nachdem der RV-Vorsitzende Michael Joachim die Beschlussunfähigkeit festgestellt hat, löst sich die Sitzung auf. Nach mehr als fünf Stunden. Ohne Ergebnis.
Als der Nachtragshaushalt in der vergangenen Woche wieder auf der Tagesordnung steht, gibt es erneut endlose Diskussionen. Während Mark Jaffé mit einem Antrag zur Geschäftsordnung zur Abstimmung drängt, meint Repräsentant Alexander Brenner: »Wir kriegen also einen Maulkorb verpasst«. Brenner beklagt später, dass es keine Transparenz gebe. Viele Probleme würden in geschlossenen Sitzungen behandelt werden, sodass die Öffentlichkeit nichts mehr davon erfahre. Das Präsidium solle die Repräsentanten »nicht wie Schulkinder« behandeln, fordert Brenner.
Die Abstimmung endet schließlich mit zwölf Ja- und sechs Nein-Stimmen, mit ei-
ner Enthaltung. Nach diesem »nicht eindeutigen Ergebnis« bestimmt das Präsidium, dass der Nachtragshaushalt angenommen werde. Repräsentant Gideon Jof-
fe legt Veto ein und sagt, dass mit der Repräsentanz »respektlos« umgegangen werde. Michael Joachim beendet die Diskussion. Er ruft den nächsten Tagesordnungs-
punkt auf, »die Rentenproblematik«. Personaldezernent Jaffé beantragt, das Thema nichtöffentlich zu erörtern. »Die öffentlichen Sitzungen spiegeln nicht das wider, was tatsächlich passiert. Sie sind lediglich ein Showeffekt«, meint er. Zahlreiche Re-
präsentanten melden sich zu Wort. Nach mehr als einer Stunde lautet dann der Entschluss, dass über die Renten in geschlossener Sitzung weiter debattiert wird. Erneut packen sechs Gemeindevertreter ihre Sachen, darunter Sergey Lagodinsky und Gideon Joffe, und verlassen den Saal. Ende der Veranstaltung.
Lala Süsskind fehlte bei dieser Sitzung entschuldigt – aus familiären Gründen. Die Gemeindechefin, für ihre freundliche und optimistische Art bekannt, meinte zuvor: »Der kürzeste Weg zwischen den Menschen ist ein Lächeln.« Ein jeder solle sich an die eigene Nase fassen und sich ein wenig zurücknehmen. »Und alle sollten bei den Fakten bleiben.« Sie sei aber guter Hoffnung, dass in der Repräsentantenversammlung künftig wieder gut gearbeitet werden könne. Man wird sehen. Zur nächsten Sitzung kommen die Repräsentanten nach Jom Kippur und Sukkot am 14. Ok-tober zusammen.