von Ralf Balke
»Freitag mittags herrscht hier regelrecht Krieg«, sagt Chaim Capone. Der Werbetexter muß es wissen, denn er trinkt gerne nach dem Einkaufen noch schnell einen Cappuccino im »Aroma«, einer Espressobar im Shopping Center des Ichilov-Hospitals in Tel Aviv. »Die Leute prügeln sich fast um die Sitzplätze.« Zu sehen ist eine recht bunte Mischung aus mehr oder weniger rüstigen Senioren der benachbarten Altenresidenz, Patienten des Krankenhauskomple- xes, teilweise im offenen OP-Hemd und mit Infusionsgestell im Schlepptau, Teenagern aus der Nachbarschaft und Familien mit Kindern. Sie alle strömen scharenweise ins »Aroma«, um sich eine der zahlreichen Kaffeespezialitäten zu gönnen, ein Sandwich zu essen, zu plaudern oder um sich durch die telefonbuchdicken Wochenendzeitungen zu arbeiten. Ab 11 Uhr vormittags ist der Laden rappelvoll.
Würde heute ein Zeitreisender aus den sechziger Jahren versuchen, in Israel einen Kaffee zu bestellen, so hätte er angesichts von bis zu dreißig angebotenen koffeinhaltigen Getränken in einer modernen Espressobar große Probleme, sich zurechtzufinden. Denn in den guten alten Pionier- tagen gab es nur »Kaffee Botz«, zu deutsch: »Kaffee Schlamm« oder »Kaffee Turki«, den türkischen Kaffee: Kaffeepulver wurde einfach mit heißem Wasser aufgebrüht, Zucker dazu, fertig! Beim Trinken knirschte es zwischen den Zähnen und im Glas klebte anschließend eine rasch zu Beton werdende braune Pampe, deren Entsorgung der Abflußreinigungsbranche vermutlich fette Margen bescherte. Später tauchte »Kaffee Ness« auf, ein Instantprodukt, dessen Geschmack wenig überzeugend war.
Heute gibt es sechs große israelische Espressobarketten wie »Aroma« – für ein so kleines Land eine erstaunliche Zahl. Sie traten vor rund 15 Jahren ihren Siegeszug an und revolutionierten die Kaffeetrinkgewohnheiten der Israelis. Dabei ist die ökonomische Logik, die hinter diesem Konzept steht, recht simpel: Ein Kaffee und ein Sandwich in einer Espressobar sind in der Regel billiger als eine Mahlzeit mit Getränken in einem Restaurant. Bietet man dazu auch noch gute Produkte in einer angenehmen Atmosphäre, kommt das einer Lizenz zum Gelddrucken gleich. Schließlich sind die Israelis bekennende Kaffee-Junkies. Der Pro-Kopf-Verbrauch liegt bei rund 110 Litern im Jahr. US-Amerikaner schlürfen 60 Liter, die Europäer 90 Liter. Und so können trotz des überschaubaren Kundenstamms gleich mehrere Ketten auf dem israelischen Markt bestehen und munter expandieren.
Wichtig für den Erfolg ist dabei die Kombination aus der richtigen Positionierung sowie der Präsenz an attraktiven Orten. Und natürlich ein überzeugendes Konzept. Wie das funktioniert, erklärt »Ar- caffe«-Mitgründerin Sarah Schemer, die über Jahre immer wieder nach Europa geflogen war, um guten Kaffee aufzutreiben. Schließlich traf sie im italienischen Livorno nahe Pisa auf den Großhändler »Arcaffe«. »Die Idee war, einen Zwitter zu schaffen«, erzählt Schemer. »Wir wollten italienischen Qualitätskaffee mit hochwertigen französischen Backwaren kombinieren.«
1995 machten sie gemeinsam in Herzlija Pituach, mitten im Herzen von Israels boomendem Hightech-Distrikt, ihr erstes »Arcaffe« auf. Ein zweites kam 1996 auf dem Rothschild-Boulevard in Tel Aviv dazu. Danach ging es rasant aufwärts. Etwa alle neun Monate öffnet ein neues »Arcaffe« seine Pforten. Die 28 »Arcaffes« sind komplett im Besitz der Firmengründer, anders als die meisten Geschäfte der Konkurrenz, die nach dem Franchise-Prinzip organisiert sind. Der Franchise-Nehmer verkauft die Produkte im Café zwar rechtlich selbständig, zahlt jedoch Gebühren für Ausstattung, Marke und gemeinsames Vertriebssystem. Der Mutterkonzern spart Sozialleistungen, weil der Franchise-Nehmer selbständig ist. Für Ketten ist das System geeignet, weil das Markenkonzept durch Unternehmer übernommen wird, die den Markt ihrer Region viel besser kennen als die Zentrale.
Doch auch das traditionell strukturierte »Arcaffe« wagte den Sprung ins Ausland. 2004 wurde das erste »Arcaffe« in Paris eröffnet, 2005 folgte ein zweites, im Luxuskaufhaus »Lafayette«. Auch dem Konkurrenten »Café Hillel« wurde es in Israel zu eng. Obwohl mit weniger als zwanzig Filialen und einem Jahresumsatz von mehr als 10 Millionen Euro eine Spur kleiner, ging »Hillel« 2005 in Amsterdam an den Start. Und diese Woche will »Aroma« seine erste Auslandsfiliale in New York eröffnen.
Während »Arcaffe« sich als »Premium-Brand« versteht und überwiegend Geschäftsleute anspricht, ist »Coffee Bean and Tea Leaf« eher auf eine jüngere Kundschaft ausgerichtet. Die internationale Kette wurde 1963 von dem jüdischen Geschäftsmann Herbert B. Hyman in Kalifornien gegründet und hat inzwischen zehn Ableger in Israel – in Europa gibt es keinen einzigen. Die mit 72 Filialen mittlerweile omnipräsenten »Aroma«-Espressobars sind quasi die Discounter auf dem Markt.
Mit Kaffee erwirtschaften sie alle nur rund 60 Prozent ihres Umsatzes, den Rest machen Sandwichs und Salate aus. Die Mischung aus gutem Kaffee und hochwertigen Snacks könnte das Erfolgsrezept für den Markteintritt in anderen Ländern sein. Denn bei den meisten bereits etablierten Espressobarketten steht allein der Kaffee im Mittelpunkt, das Essen sollte man besser nicht anrühren, wenn man Genußmensch ist.
Daß man als Profi-Kaffeebrüher auch in Israel eine Bauchlandung hinlegen kann, führte ausgerechnet »Starbucks« vor. Mit viel Tamtam eröffnete der Gigant aus Seattle 2001 seine erste Filiale in Tel Aviv. »Wir bringen den Israelis das Kaffeetrinken bei«, tönte das Management. Damit hatte es schon ein PR-Desaster produziert, bevor die erste Caffè Latte über den Tresen gegangen war. Zudem war die Kritik verheerend. Der Kaffee des Marktführers sei »in der Evolutionsstufe nur einen Schritt über dem Wischwasser zur Bodenreinigung«, schrieb eine Zeitung. Geschmacklich mußte Starbucks floppen, weil die Israelis stärkeren Kaffee bevorzugen – der italienische Einfluß war zu prägend. Außerdem brach gerade die durch die zweite Intifada bedingte Wirtschaftskrise über das Land. Statt wie angekündigt über fünfzig Filialen zu eröffnen, zog sich »Starbucks«, um einige Millionen US-Dollar ärmer, nach zwei Jahren aus Israel zurück. Doch in jüngster Zeit verdichten sich Gerüchte, daß »Starbucks« einen zweiten Anlauf plant, diesmal mit einer etablierten Kette als Partner oder Übernahmeobjekt. Lernt der Riese aus seinen Fehlern, dann würden die Karten auf dem israelischen Espressobarmarkt neu gemischt.