von Detlef David Kauschke
»Konvertiten sind eine besondere Gefahr.« »Schäuble warnt vor radikalen Konvertiten.« »Konvertiten bedrohen Deutschland.« Anfang des Monats, als Deutschland durch die vereitelten Anschläge von Fritz G. und anderen »Gotteskriegern« aufgeschreckt wurde, erschienen in den verschiedenen Medien Interviews und Hintergrundberichte zu den gerade zum Islam Übergetretenen und ihren terroristischen Plänen. Der Berliner Tagesspiegel (11. September) brachte unter der Überschrift »Zur Hölle mit den Konvertiten« ein Stück von Henryk M. Broder (Unterzeile: »Wer die Religion wechselt, nervt seine neuen Glaubensbrüder oft gewaltig«). Der streitbare Publizist beschäftigt sich in dem bereits 1994 in seinem Buch Schöne Bescherung erschienenen Text mit Deutschen, die sich vom Judentum angezogen fühlen, und kommt dabei zu der Erkenntnis: »Im Gegensatz zu den Konvertiten wissen Juden, dass Konversionen vergeb-lich sind.« Es sei unmöglich, zum Judentum überzutreten, schreibt Broder. »Jude kann man nur sein, man kann es nicht werden. Das mag rassistisch klingen, dennoch ist es so.«
Henryk M. Broder weiß, dass das rabbinische Judentum das anders sieht. Gleichwohl benennt er ein Phänomen, das nicht erst seit diesen Wochen diskutiert wird. Es geht um die »Hinzugekommenen« oder die »gerechten Fremden«, wie sie nach der wörtlichen Übersetzung des griechischen Wortes Proselyt oder des hebräischen Begriffs Ger Zeddek genannt werden. Es sind Juden nicht von Geburt an, sondern aus freier Entscheidung. Das macht sie besonders, für manchen als Juden Geborenen auch zum Ärgernis.
Das Verhältnis zu den Konvertiten ist im Judentum traditionell strittig. Einerseits heißt es im Talmud: »Proselyten sind für Israel unangenehm wie ein Ausschlag.« Andererseits ist im Talmud auch zu lesen, dass Gott »Israel nur unter die Völker verstreut hat, um seine Zahl mit Proselyten zu mehren«.
Der Midrasch betont, dass ein Konvertit in Gottes Augen mehr geachtet ist als ein geborener Jude. Für Letzteren ist es ein biologischer und spiritueller Fakt: Wer als Jude zur Welt kommt, wird diese auch wieder als Jude verlassen. Die Taufe oder die Annahme eines anderen Glaubens kann dies nicht ändern. Aber ein Konvertit wird erst mit eigener Hingabe Mitglied des jüdischen Volkes, aus freier Entscheidung. Dann aber als fast vollwertiges Mitglied, wie der talmudische Satz über den Konvertiten besagt: »Nachdem er untergetaucht und heraufgestiegen ist, gilt er in jeder Beziehung als Israelit.«
Häufig wird darauf verwiesen, dass die Geschichte des jüdischen Volkes erst mit einer Konversion, dem Übertritt von Abraham, begonnen hat. Mit 99 Jahren bekannte sich der biblische Stammvater noch einmal zu dem einen Gott und ließ sich beschneiden. 24 Jahre zuvor hatte er sich mit seiner Frau Sarai bereits auf den Weg von Charan ins Gelobte Land gemacht, in Begleitung von »Seelen, die sie erworben«. Bibelkommentatoren meinen, dass es sich auch dabei schon um Konvertiten gehandelt haben muss. Die Tora erwähnt später weitere Übertritte zum Judentum, wie den von Jithro, Moses’ Schwiegervater. Und nicht zuletzt ist Ruth (»dein Volk ist mein Volk, und
dein Gott ist mein Gott«), die Urgroßmutter König Davids, der Prototyp einer Konvertitin.
Prominente Beispiele gibt es auch in der nachbiblischen Periode. Schamaja und Awtaljon, die Lehrer von Hillel, waren Konvertiten. Rabbi Akiwa war Sohn eines Ger Zeddek. Auch Onkelos, der berühmte Tora-Übersetzer, war zum Judentum übergetreten. In der Zeit der Mischna nahmen Griechen und Römer den jüdischen Glauben an. Und als Beispiel einer Zwangskonversion zum Judentum ist die Massenbekehrung der Idumäer durch die Hasmonäer überliefert. Bis auf diese und wenige andere Ausnahmen hat sich das Judentum nicht missionarisch betätigt. Dennoch gab es – und gibt es immer wieder – jüdische Stimmen, die meinen, dass Juden durchaus auch andere Menschen für ihren Glauben gewinnen sollten. Rabbiner Leo Baeck bezeichnete das Ju-
dentum als »erste Religion, die im Dienste einer Idee Mission trieb«. Der amerikanische Rabbiner und Professor für Jüdische Studien Hayim G. Perelmuter sah in der gezielten Anwerbung und Betreuung von Proselyten »ein bedeutsames, stimulierendes Element in der Geschichte des Judentums«.
Wie und wodurch wird der Übertritt vollzogen? Talmudische Quellen geben unterschiedliche Auskünfte darüber. Zum einen ist zu lesen: »Wer den Götzendienst verleugnet, heißt Jude«. Hingegen meinte Rabba ben Bar Hanna: »Er gelte nur dann als Proselyt, wenn er beschnitten worden und untergetaucht ist.«
In der rabbinischen Zeit wurde der Übertritt ritualisiert. Zum Giur gehört
das Erscheinen vor einem rabbinischen Gericht. Drei Schriftgelehrte müssen darüber befinden, ob der Kandidat ehrlichen Gewissens bereit ist, das Joch der Gebote, das »Ol Mizwot«, anzunehmen. Bei männlichen Bewerbern ist die Beschneidung erforderlich. Zuletzt gehört die Twila, das Untertauchen in der Mikwe, zum Übertritt, der dann mit der Annahme eines hebräischen Namens abgeschlossen wird. Der Tradition zufolge wird der Proselyt als Kind der Stammeltern Abraham und Sara neu geboren. Diesen Schritt unternehmen Menschen als Individuen, oder wie im Falle der Chasaren, für die das Judentum im 10. Jahrhundert zur Staatsreligion wurde, als ganzes Volk. Nur wenige Konvertiten sind so prominent, dass die Öffentlichkeit von ihrem Glaubenswechsel erfährt, wie bei der Schauspielerin Marilyn Monroe, dem Entertainer Sammy Davis jr., der 1955 zum Judentum konvertierte und sich selbst später gerne scherzhaft einen »puertoricanischen Schwarzen jüdischen Glaubens« nannte, oder wie unlängst bei der deutschen Talkmasterin Bärbel Schäfer.
So bleiben die Beweggründe der Konvertiten weitgehend unbekannt. Sicherlich ist die Mehrzahl der Übertritte vom Wunsch der Eheschließung mit einem jüdischen Partner bestimmt. Dazu schrieb der britische Rabbiner Lionel Blue im Buch Nicht durch Geburt allein: »Ich glaube nicht, dass der ursprüngliche Grund, warum Menschen konvertieren wollen, so besonders wichtig ist. Die meisten lassen sich auf eine Religion ein, um sich ihrer zu bedienen, und merken erst später – zu ihrem nicht geringen Erstaunen –, dass die Religion anfängt, sich ihrer zu bedienen.«
Wie viele Menschen jährlich dem Judentum beitreten, darüber gibt es nur Schätzungen. Der American Jewish Identity Survey gab im Jahr 2001 die Zahl der Konvertiten, die in den USA leben, mit 170.000 an. Etwa 5.000 bis 7.000 sollen pro Jahr dazukommen.
Zwischen 2.000 and 2.500 Menschen konvertieren in Israel jährlich zum Judentum. Und in Deutschland? Hier werden anerkannte Übertritte von zwei verschiedenen Rabbinergremien ermöglicht. Der Berliner Rabbiner Yitshak Ehrenberg von der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland meint, dass der Beit Din seiner Organisation im vergangenen Jahr etwa 20 Menschen ins Judentum aufgenommen hat. Rund 30 Giurim waren es in dieser Zeit beim Beit Din der Allgemeinen Rabbinerkonferenz, sagt deren Vorsitzender, Rabbiner Henry Brandt. Die Anliegen der Übertrittswilligen werden mit größter Sorgfalt behandelt, versichert Brandt. »Auf Motivation und Redlichkeit legen wir großen Wert, im Interesse der Gemeinschaft, aber auch der Antragsteller.« Auf jeden Fall aber ist und war der Beitritt zum Judentum möglich, stellt Rabbiner Brandt klar. »Konvertiten sind willkommen«, sagt Rabbiner Ehrenberg, »wenn sie die Ideale des Judentums verstehen, und bereit sind, die Gebote der Tora einzuhalten.«
Soweit die rabbinische Antwort auf die These von Henryk M. Broder: »Jude kann man nur sein, man kann es nicht werden.« Auch wenn das Judentum mehr ist als eine Glaubensgemeinschaft und es der besonderer Charakter als Religion und Volk es schwer machen, ist der Übertritt doch möglich. Aber er bleibt eine der umstrittensten Fragen der Halacha, sowohl in Israel wie auch in der Diaspora.