Immigranten

Aus der Traum

von Sue Fishkoff

Wenn auf dem Büffettisch als Erstes der gefilte Fish zur Neige geht, ist klar, dass es sich nicht um eine typische amerikanische Dinnerparty handelt. Russische Gesprächsfetzen und die Tatsache, dass die jungen Männer alle ein wenig besser gekleidet sind als der amerikanische Durchschnittsmann, der das College hinter sich hat, sind weitere Indizien.
Etwa vier Dutzend junge Leute in den Zwanzigern und Dreißigern haben sich zum Schabbatabendessen zusammengefunden. Organisiert wird das allmonatlich stattfindende Dinner von den »79ern«, einem drei Jahre alten Verein mit Sitz in San Francisco, der kulturelle, soziale, religiöse und Bildungsaktivitäten für Juden, die in der ehemaligen Sowjetunion geboren wurden, veranstaltet.
Sie sehen sich zusammen russische Filme an, hören Vorträge, begehen jüdische Feiertage und nehmen auch an den sogenannten »Purim Follies« teil, die immer im Frühjahr von der Abteilung für junge Erwachsene der örtlichen Gemeinde abgehalten werden. In New York gründete sich vor einem Jahr eine ähnliche Gruppe, die »RJeneration« heißt und sich an den gleichen Bevölkerungsteil an der Ostküste wendet. Auch in Washington D.C., Boston, Philadelphia und Seattle wird es demnächst wohl solche Vereinigungen geben.
Mehrere jüdische Gemeinden haben zwar »russische Abteilungen«, die hauptsächlich zum Zweck der Geldbeschaffung bei den Einwanderern eingerichtet wurden, doch die »79er« und »RJeneration« sind Initiativen, die von den Immigranten selbst und für ihre eigenen Bedürfnisse gegründet wurden.
Diese jüdischen Einwanderer aus der Ex-Sowjetunion sind hoch gebildet und ehrgeizig. Sie stellen sich Fragen zu ihrer Identität, was ihr Judentum für sie bedeutet und wie sie sich in die amerikanisch-jüdische Landschaft einfügen. »Wir sind anders als die amerikanischen Juden, aber Russen sind wir auch nicht«, sagt die 35-jährige Programmleiterin der »79er«, Angela Previn. Auch der 36-jährige Software-Entwickler Igor Sinyak, dessen Familie aus Kiew wegging, als er neun Jahre alt war, meint: »Wir leben in einer Doppelwelt. Nach außen sind wir amerikanisch, tief drinnen aber sind wir russisch.«
Für viele ist es das erste Mal, dass sie mit Menschen zusammenkommen, die die gleiche Lebenserfahrung haben, sagt Angela Previn, die im Alter von fünf Jahren aus der Ukraine in die USA kam. »Als Kind zu sehen, wie meine Eltern, die als Ärzte arbeiteten, Wohnungen putzen gehen, wie die Familie ein gesichertes Leben hinter sich lässt, um bei Null anzufangen – das sind Erfahrungen, die nur wenige Menschen gemacht haben. Hier wissen aber alle, was die anderen durchgemacht haben. Es geht uns darum, verstanden zu werden.«
Dieses Verständnis kann tief gehen: von persönlichem Wissen über das sowjetische Unterdrückungssystem und der Liebe zur klassischen russischen Literatur bis hin zu einem konfliktreichen Verhältnis zum Judentum. Doch es kann auch um ganz einfache Sachen gehen. »Die meisten von uns haben in der Küche Unmengen von Plastiktüten angesammelt«, sagt Sinyak. »Vielleicht deshalb, weil unsere Eltern es damals in der Sowjetunion so gemacht haben. Und wir verwenden Teebeutel ein zweites Mal. Das sind Sachen, die man seinen amerikanischen Freunden schwer erklären kann.« Der Name »79er« bezieht sich auf das Jahr 1979, Höhepunkt der jüdischen Auswanderung aus der UdSSR. Das Jahr, in dem die meisten der Gründungsmitglieder des Vereins in den Vereinigten Staaten ankamen. Sie sind als Kinder eingewandert und in diesem Land aufgewachsen, weshalb ihnen die englische Sprache heute viel vertrauter ist als die russische.
Sie haben auch viele Jahre damit verbracht, ihr Judentum und ihre russische Herkunft zu verbergen, während sie und ihre Familien versuchten, sich anzupassen. »Ich vermied alles Russische, als ich hierher kam«, sagt Sinyak. »Russisch war alles andere als cool. Es war mitten im Kalten Krieg, wir wurden ständig als Kommunisten gehänselt. Ich habe früh gelernt, mich so weit wie möglich davon zu distanzieren.«
Wie die meisten ihrer Altersgenossen wuchsen auch die Eltern von Karina Ioffee in der säkularen Sowjetunion auf und blieben auch nach ihrer Ankunft in Amerika der Synagoge fern. So begann Karina, die zehn Jahre alt war, als die Familie 1990 das lettische Riga verließ, allein in die Synagoge zu gehen. Bei den »79ern« hat sie einen sicheren Ort gefunden, in dem sie auch etwas über das Judentum erfahren kann. »In der Synagoge fühle ich mich immer noch wie ein Dummkopf«, räumt sie ein. »Aber ich lese jüdische Bücher und die Tora, ich zünde Schabbat-Kerzen an. Ich will jüdisch leben, einen jüdischen Ehemann haben, und meine Kinder jüdisch erziehen. Durch die Gruppe komme ich diesem Ziel näher.«
Je etablierter die »79er« und »RJeneration« werden, desto lauter wird ihr Anspruch, mehr zu sein als eine bloße Anlaufstelle für das Knüpfen von Kontakten, auch wenn dies eine wichtige Rolle spielt. Sie wollen einen Rahmen bieten für junge russisch-amerikanische Juden, die ihr politisches und wirtschaftliches Gewicht geltend machen wollen.
Es gibt jedoch Konkurenz. »RJeneration« stellte in den vergangenen Monaten die »79er« in den Schatten. Sie besteht aus den Immigranten, die in den 1990er-Jahren nach Amerika kamen. Es gibt Unterschiede. Die Neuankömmlinge sprechen mehr Russisch, erinnern sich nicht an die Sowjetunion und waren bei ihrer Entscheidung auszuwandern weniger ideologisch motiviert. Einige »79er«-Veteranen haben damit Probleme. Sie sagen, die Jüngeren teilten nicht ihre besonderen Immigrationserfahrungen. Doch die Gemeinsamkeit bestehe trotzdem darin, dass sie alle aus der ehemaligen Sowjet-union stammen und dort ihre prägenden Jahre verbracht haben.
Sie wollen möglichst viele jungen Menschen zusammenbringen. Sie wollen eine Gemeinde entwickeln, in der Juden ihre russisch-jüdische Identität neu entdecken und verwirklichen werden.

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