von Tobias Jaecker
Vor dem Eingang des noblen Hilton-Hotels in Chicago haben sich rund zwanzig Demonstranten versammelt. Den Passanten gellen schon von weitem schrille Parolen entgegen: »Israel ist ein Apartheids-Staat!« und »Befreit Libanon und Palästi- na!« Steven Nasatir sagt im Großen Ballsaal des Hotels: »Die Leute draußen rufen: Rassisten geht nach Hause. Wir sagen: Unsere Brüder und Schwestern sind in Israel zu Hause!«
Nasatir ist Präsident des Jewish United Fund (JUF) in Chicago. Unter dem Motto »Stand with Israel« hat die Organisation zu einer großen Solidaritäts-Veranstaltung geladen. Das Ziel ist, Spenden zu sammeln. Mit dem Geld soll etwa Kindern aus dem israelischen Norden ein Ferienlager-Aufenthalt in der Mitte des Landes ermöglicht werden. Rund 1.200 Menschen sind der Einladung zum »Fundraising-Event« gefolgt, darunter viele junge Leute. In festlicher Abendgarderobe sitzen sie an kleinen Tischen zusammen.
»Ich habe lange in Israel gelebt. Für die Menschen dort ist es zurzeit wirklich sehr schwer«, sagt Amy Goldberg. Die 29jährige Sozialarbeiterin erzählt von einer Freundin, die in einem Kibbuz lebt. »Die letzten Wochen konnte sie nicht in ihrem Zimmer schlafen, weil das zu unsicher war, aber die Luftschutzkeller waren immer überfüllt. Sie läuft den ganzen Tag rastlos herum in der ständigen Angst, daß etwas passiert.«
Auch Eileen Rogers hat Verwandte in Israel. Die 73jährige ist in Polen aufgewachsen und sagt, ihre Schwester habe während des Zweiten Weltkriegs zahllose Nächte in einem Keller in Warschau verbracht. Jetzt sitze sie nun wieder in einem Bunker, 2006, in Haifa. »Das ist einfach unvorstellbar! Die arme Frau muß sich wieder vor Bomben verstecken«, empört sich Eileens Ehemann Gerald. »Es muß endlich Schluß damit sein, daß Juden für alle Zeiten in Bunker rennen müssen.« Eileen Rogers sagt, die Hisbollah predige eine Ideologie, die aus dem Iran und Syrien geschürt werde: »Sie werden Israel im Nahen Osten nie akzeptieren.« Die Zukunft des Landes hänge davon ab, ob die Welt das endlich verstehe: »Die Vereinigten Staaten sind doch zurzeit der einzige wirkliche Freund Israels.«
Die Redner auf der Bühne betonen immer wieder, wie nötig Israel diese Solidarität gerade jetzt habe. Avishay Braverman, ehemaliger Präsident der Ben-Guri- on-Universität und seit März dieses Jahres für die Arbeitspartei in der israelischen Knesset, sagt: »Haifa ist die drittgrößte Stadt Israels und Chicago die drittgrößte Stadt der USA. Können Sie sich vorstellen, wie das wäre, wenn Chicago von Kanada aus mit Raketen beschossen würde?« Einen berühmten Ausspruch John F. Kennedys zitierend, ruft Braverman: »Fragt nicht, was Israel für euch tun kann, fragt, was ihr für Israel tun könnt!« Und er schließt mit den Worten: »Gott schütze die Juden in Amerika.«
Überall im Saal sind amerikanische und israelische Flaggen zu sehen. Im Laufe des Abends werden die Hymnen beider Länder angestimmt. »Diese Unterstützung habe ich nicht erwartet«, sagt Ofer Lichtman. Der 21jährige ist Soldat in der israelischen Armee und nach Chicago gekommen, um von seinen Erlebnissen zu be- richten. Er erzählt, wie er an der nordisraelischen Grenze stationiert wurde, kaum drei Tage, nachdem der Krieg ausgebrochen war. Wie seine Stellung stundenlang von der Hisbollah beschossen wurde. Und daß ein Freund durch die Bomben getötet und er selbst verletzt wurde. »Es ist mir wichtig zu sagen, daß wir diesen Krieg nicht wollten«, sagt Lichtman. »Aber ich habe mein ganzes Leben in Israel verbracht und will dort weiter leben.«
Später erscheint Israels Vize-Premier Schimon Peres auf der Videoleinwand –mit einer Grußbotschaft aus Washington, wo er sich mit US-Außenministerin Rice getroffen hat. »Wir sind durch sechs Kriege gegangen«, sagt er. »Und jetzt fallen erneut tausende Raketen auf Israel nieder.« Doch dann gibt sich Peres vorsichtig optimistisch: Die UN-Resolution sei ein erster Erfolg. »Zum ersten Mal haben arabische Staaten unterschrieben, daß Israel zu Unrecht angegriffen worden ist«, sagt er.
Andere Redner sind da vorsichtiger. Avishay Braverman sagt, er begrüße die Resolution. »Aber von deutschen Soldaten an der Grenze erhoffe ich mir nicht viel –schützen können wir uns nur selbst.« Umso einhelliger ist die Solidarität an diesem Abend. Die Menschen geben, was sie können: freundschaftlichen Beistand und Geld. Als sich der Saal am Ende leert, bleiben auf vielen Tischen kleine Papierumschläge mit Spenden-Zusagen zurück. 800.000 Dollar kommen zusammen. In den Wochen zuvor haben jüdische Organisationen in Chicago bereits über 33 Millionen Dollar gesammelt. Man ist sich einig, daß die Israelis es bitter brauchen können.